DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Essay

Dädalus in Toyland – Fahrzeuge, Waffen und Gadgets in Ken Adams Filmwelten

von Christoph Neubert

Oh, that interesting car of yours. I, too, have a new toy,
but considerably more practical. You are looking at an industrial laser,
which emits an extraordinary light, unknown in nature.
It can project a spot on the moon. Or, at closer range, cut through solid metal.
(Auric Goldfinger)

Handlungs-Räume

Viele der Filmwelten, die Ken Adam zunächst als Assistent innerhalb des Art Departments, später als Art Director und Production Designer gestaltet hat, entwerfen technisch geprägte Milieus, in denen Fahrzeuge und Waffen, Apparate und Gadgets eine zentrale Rolle spielen. Obwohl es sich dabei zumeist um mobile Elemente handelt, stehen sie gleichwohl in einer systematischen Beziehung zu jenen berühmten und unverwechselbaren Räumen, mit denen Ken Adam in die Filmgeschichte eingegangen ist. Struktur, Funktion und Ästhetik der Technologien, um die es im Folgenden gehen wird, erschließen sich daher im Ausgang von den Entwurfsverfahren und Gestaltungsprinzipien, die Adams filmische Architekturen bestimmen.

Ken Adam studierte in den 1930er Jahren an der Londoner Bartlett School of Architecture, arbeitete in einem Architekturbüro unter einem ehemaligen Assistenten Erich Mendelsohns und für die MARS Group (Modern Architectural Research Group), einen englischen Ableger des Bauhauses. In seiner Kindheit war Adam fasziniert von der Theater- und Filmszene seiner Geburtsstadt Berlin, aus der er mit seiner jüdischen Familie 1934 fliehen musste. Doch die beeindruckenden Kulissen und Technikfantasien expressionistischer Filme wie Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari (DE 1920) oder Fritz Langs Dr. Mabuse, der Spieler (DE 1922) und Metropolis (DE 1927) hatten einen langen Nachhall.1 Beide Tendenzen, Expressionismus und Sachlichkeit, finden sich in Adams Entwurfsverfahren wieder. (Vgl. hierzu auch den Essay von Kristina Jaspers.)

Besonders charakteristisch für frühe Skizzen zu seinen Projekten ist der jeweilige Entwurf eines Raums als dynamisches Zusammenspiel elementarer geometrischer Formen – Dreieck, Kreis und Rechteck –, das in mehreren Durchgängen von der Abstraktion in die Konkretion überführt wird. Beispiele für dieses Verfahren finden sich zahlreich, etwa in den Entwürfen des berühmten Tarantel-Raums und der Gefängniszellen für die erste James-Bond-Verfilmung, DR. NO (GB, US 1962, Regie: Terence Young), ebenso wie in Adams Skizzen zu den Tresorräumen von Fort Knox, dem Gestüt und dem Drogenlabor in GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton) sowie zu dem berühmten War Room aus Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (GB, US 1964). (Vgl. hierzu auch den Essay von Boris Hars-Tschachotin.) Auch der Raum für die Gehirnwäsche in THE IPCRESS FILE (GB 1965, Regie: Sidney J. Furie), die Brainbox, geht aus einem sehr reduzierten geometrischen Entwurf hervor.

Ausgehend von der abstrakten Projektion entstehen so stark gegliederte, dramatische Räume, oft mit mehreren horizontalen Ebenen, verbunden und abgehoben durch markante Elemente wie Säulen, Treppen und Galerien, Raumteiler, Brücken und Stege, überdacht von dominanten, meist abgeschrägten Deckenkonstruktionen; unterstützt wird die räumliche Gliederung durch expressive Beleuchtungseffekte, wobei regelmäßig große, runde Oberlichter im Wechsel mit abgehängten Lampen zum Einsatz kommen.

  • Dr. No's Complex, Tarantula Room

    [Dr. No's Complex, Tarantula Room], DR. NO (GB, US 1962, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20940_009
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Dr. No's Complex, Tarantula Room
  • Dr. No's Complex, Prison Cell

    [Dr. No's Complex, Prison Cell], DR. NO (GB, US 1962, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20940_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Dr. No's Complex, Prison Cell
  • Warehouse, Brainbox

    [Warehouse, Programming Room], THE IPCRESS FILE (GB 196, Regie: Sidney J. Furie)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F33879_014
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Warehouse, Brainbox
  • Drug Laboratory

    [Storage Tank], GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20003_041
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Drug Laboratory
  • Fort Knox, Gold Vaults

    [Fort Knox, Gold Vaults], GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20003_024
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Fort Knox, Gold Vaults
  • Space Station, Command Centre and Corridors

    [Space Station, Command Centre], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14476_202
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Space Station, Command Centre and Corridors
  • Baron Bomburst's Castle, Caves with River

    [Baron Bomburst’s Castle, Children’s Cave], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F22040_128
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Baron Bomburst's Castle, Caves with River
  • Cloak Manor, Salon

    [Cloak Manor, Main Hall], SLEUTH (GB, US 1972, Regie: Joseph L. Mankiewicz)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F52264_059
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Cloak Manor, Salon
  • Ballet School

    BALLET SCHOOL, CHILD IN THE HOUSE (GB, US 1964, Regie: Cy Endfield)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F55342_005
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ballet School
  • Loeffler's Apartment

    [Franz Loeffler's Apartment], TEN SECONDS TO HELL (GB, US 1958, Regie: Robert Aldrich)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F1854_005
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Loeffler's Apartment
  • Margot's Apartment, Kitchen/Great Room

    [Margot Hofer’s Apartment, Kitchen], TEN SECONDS TO HELL (GB, US 1958, Regie: Robert Aldrich)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F1854_006
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Margot's Apartment, Kitchen/Great Room
  • Family Mansion, Entry Hall

    [The Addams Family Mansion, Entry Hall, View towards Tower], ADDAMS FAMILY VALUES (US 1993, Regie: Barry Sonnenfeld)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F9781_007
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Family Mansion, Entry Hall
  • Pott's Cottage & Windmill

    Pott's Cottage & Windmill, CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F22040_004
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Pott's Cottage & Windmill
  • Atlantis, Living Room

    [Atlantis, Sitting Room], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F16059_147
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Atlantis, Living Room
  • Atlantis, Living Room

    THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F16059_004
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Atlantis, Living Room
  • Bar

    [Bar], TEN SECONDS TO HELL (GB, US 1958, Regie: Robert Aldrich)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F1854_004
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Bar
  • Toymaker's Shop

    [Toymaker’s Shop], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F22040_152
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Toymaker's Shop
17 Abbildungen

Die oft betonte Ausdrucksstärke der von Adam gestalteten Interieurs ist aber nicht lediglich als Resultat kunst- und architekturgeschichtlicher Einflüsse zu verstehen. Ebenso wenig ist die Dramaturgie der filmischen Räume auf ästhetische, affektive, psychologische oder semiotische Dimensionen beschränkt. Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, dass Adams Designs vielmehr eine handlungsrelevante, operative Funktion zukommt. Sie entwerfen keinen visuellen Grund, vor dem sich die Darstellung der Figuren abhebt, keine passiven, bestenfalls bedeutungsgeladenen Schauplätze menschlicher Handlungen, das Szenenbild wird vielmehr selbst zu einem komplexen Akteur. An die Stelle des statischen, kartesischen Raums tritt ein dynamischer, performativer Raum, mit dem die Figuren des Films jeweils auf komplexe Weise interagieren. Die Fahrzeuge, Waffen und Gadgets folgen dieser Logik, sie intensivieren und ‚verlängern‘ gewissermaßen die Handlungsmacht der Räume.

Beispielgebend für diese performative Dimension filmarchitektonischer Elemente sind die für SLEUTH (GB, US 1972, Regie: Joseph L. Mankiewicz) entworfenen Settings: der eigens für den Film angelegte Irrgarten auf dem Gelände des Athelhampton House in West Dorset sowie die reichhaltigen Interieurs und ‚Spielräume‘ – unter anderem die Halle, der Billardraum, der Keller –, die Adam in den Pinewood Studios bauen ließ und die zum wesentlichen Akteur des verzwickten Katz-und-Maus-Spiels zwischen den beiden Protagonisten werden. Aufbau und Ausstattung der Räumlichkeiten regulieren die Bewegungen der Körper, sie programmieren die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten der Figuren, worauf nicht zuletzt die zahlreichen Puppen und Automaten verweisen, die die Szene bevölkern.

Regelrechte Parcours halten auch die megalomanen Infrastrukturen der Bösewichte bereit, an denen sich der britische Geheimagent James Bond abzuarbeiten hat.2 Neben klassischen Wohn- und Arbeitsräumen spielen hier vor allem Funktionsarchitekturen ihre Rolle, von Labors und Kommandozentralen über Keller, Tresore und Verliese bis zu ausgefallenen Umgebungen wie Bohrinseln, Krematorien und Raumstationen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei regelmäßig die Gebäudelogistik in Gestalt von Fahrstühlen und Versorgungskorridoren, Schleusen und Belüftungsschächten, unterirdischen Höhlen und Kanälen, Kommunikations- und Stromnetzen.

In dieser handlungsbestimmenden Funktion des Szenenaufbaus liegt zweifellos auch der Grund, warum Adam die kontrollierten Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des Studios der Arbeit an realen Schauplätzen immer vorgezogen hat. Adams Hyperrealismus („heightened reality“), der nicht mimetisch, sondern konstruktivistisch vorgeht, folgt nicht nur ästhetischen Erwägungen, er zeugt darüber hinaus von einem grundlegenden Verständnis für die operative Dimension räumlicher Anordnungen.

  • Dr. No's Complex, Escape Shaft

    [Escape Tunnel Sequence], DR. NO (GB, US 1962, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20940_012
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Dr. No's Complex, Escape Shaft
1 Abbildungen

Kybernetische Architekturen: Der Bunker…

So ist es kein Zufall, dass Adams Räume vielfach agonale Architekturen sind, in denen es buchstäblich um Leben und Tod geht. Besonders sinnfällig wird dieser Zusammenhang in den Bond-Filmen. Die Infrastrukturen der Superschurken zielen typischerweise auf eine globale Bedrohung der Menschheit, und die Mission des Doppelnull-Agenten führt ihn unfehlbar in die versteckten Refugien seiner Gegenspieler, wo er es nicht nur mit menschlichen Gegnern, sondern auch mit einer Vielfalt von technischen Fallen und Hürden zu tun bekommt. Insbesondere die obligatorischen Gefangennahmen und Folterszenen führen vor Augen, dass es die filmischen Räume sind, die auf der Ebene der Handlung die Macht über das Leben organisieren, also buchstäblich eine Biopolitik artikulieren – nicht erst dort, wo es, wie in MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert) um die Züchtung einer überlegenen Menschenrasse geht.

Die von Adam gestalteten technischen Milieus bilden somit regelmäßig Übergangszonen zwischen Architekturen und Waffen, kritische Überlebensräume, für die zwei Paradigmen besonders dominant sind: der Bunker und das Schiff. Für jemanden mit Ken Adams biografischem Hintergrund sind Erfahrungen wie die plötzliche Zerstörung der Lebenswelt, Vertreibung, Krieg und Vernichtung zweifellos prägend. Architekturen und Maschinen des Kriegs hat Adam dabei aus der Nähe kennengelernt, und das von beiden Seiten, aus defensiver wie offensiver Perspektive: Zu seinen ersten praktischen Aufgaben als Architekt in England zählte der Entwurf von Luftschutzräumen, und als Kampfpilot der Royal Air Force flog er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Einsätze gegen deutsche Panzer und Flugabwehrstellungen. Seine Einheit war mit der Hawker Typhoon ausgerüstet, einem der leistungsfähigsten Jagdbomber seiner Zeit und eine der ersten mit Luft-Boden-Raketen ausgestatteten Maschinen.3 (Vgl. hierzu Ken Adams Biografie von Silke Ronneburg und Peter Mänz.) Hier lässt sich der Kern einer zwiespältigen Faszinationsgeschichte ausmachen, von der die zahlreichen Festungen, Flugzeuge, Bomben und Raketen zeugen, die Adams Sets nicht erst seit den James-Bond-Filmen bevölkern, besonders prominent in einigen (Anti-)Kriegsfilmen, in Robert Aldrichs TEN SECONDS TO HELL (GB, US 1958), in Vernon Sewells BATTLE OF THE V-1 (GB 1958) und in DR. STRANGELOVE.

  • TYPHOON II B (PR-X)

    TYPHOON II B
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_N8261_004
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    TYPHOON II B (PR-X)
  • German Army Torture Chamber

    [Torture Chamber], BATTLE OF THE V-1 (GB 1958, Regie: Vernon Sewell)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F81652_019
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    German Army Torture Chamber
  • Unexploded Bomb

    UNEXPLODED BOMB, TEN SECONDS TO HELL (GB, US 1958, Regie: Robert Aldrich)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F1854_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Unexploded Bomb
  • B52 Bomber

    [Bomb Dropping Sequence], DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (GB, US 1964, Regie: Stanley Kubrick)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F24181_043
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    B52 Bomber
  • Supertanker Liparus, Brig

    [Supertanker, Brig], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F16059_162
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Brig
  • Baron Bomburst's Castle, Dungeon

    [Baron Bomburst’s Castle, Dungeon], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F22040_109
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Baron Bomburst's Castle, Dungeon
6 Abbildungen

Auf einer grundlegenderen Ebene bestätigen Ken Adams Werk und Biografie die These des französischen Architektur- und Medientheoretikers Paul Virilio, wonach der Ursprung des Kinos überhaupt in den waffenförmigen Wahrnehmungstechnologien liegt, wie sie der moderne Krieg, insbesondere der Luftkrieg hervorgebracht hat.4 Von den ersten Unternehmungen der Luftaufklärung mit Hilfe von Fesselballons bis zu den elektronischen Ortungs- und Zielgeräten moderner Kampfjets und Raketen, so Virilios These, lässt sich eine enge Kopplung von Waffe und Auge ausmachen, ein kinematisches Prinzip, das dem Bewegtbild ebenso wie dem Vehikel und dem Projektil unterliegt: „In ähnlicher Weise wie die Kriegsmaschine in vollem Tempo auf das Ziel zurast, das sie zerstören soll, wird sich der Film bemühen, beim Zuschauer, diesem Voyeur und Reisenden, ein Schwindelgefühl hervorzurufen und den Eindruck zu erwecken, er würde selbst ins Bild geschleudert.“5

Dem biografischen und dem medienhistorischen Argument wäre somit  noch eine dritte Beobachtung hinzuzufügen, die das Imaginarium der Vernichtung in Ken Adams Filmwelten ausgestaltet: Moderne Kriege – ebenso wie kriminelle globale Machenschaften und geheimdienstliche Aktivitäten – werfen das Problem der Kontrolle bzw. des Kontrollverlusts als genuin (medien-)technisches Problem auf. In Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE wird eben dieser Zusammenhang in aller Prägnanz anhand einer Reihe hermetischer Räume analysiert: Da ist zunächst der legendäre War Room, in dem der US-Präsident Muffley, seine Berater und der russische Botschafter um die Sondierung und Kontrolle der Lage kämpfen, dann die beiden Interieurs des Burpelson Luftwaffenstützpunkts, General Rippers Büro und der Computerraum, schließlich das Innere der B-52 Stratofortress in Gestalt des Cockpits, des unteren Decks und des Bombenschachts.6

Adam entwarf hier technisch geprägte Interieurs, in denen das Reale der Außenwelt jeweils medial repräsentiert ist und zugleich opak bleibt: Telefone und Funkgeräte, Instrumente und Anzeigen, Schalter und Computerterminals, strategische Karten und Screens versprechen und verweigern ihren Dienst als Kommunikations- und Herrschaftsinstrumente. In ihrer architektonischen und medialen Schließung gewinnen Adams Innenräume eine eigene, fatale Handlungsmacht, während dem menschlichen Personal nur noch absurde Dialoge und Gesten übrig bleiben, die im Automatismus von Strangeloves außer Kontrolle geratener Hand, dem grotesken Ritt Major „King“ Kongs auf der Bombe und in der Rationalität des legendären „doomsday device“ gipfeln, jener globalen Vernichtungsmaschine, die keiner menschlichen Steuerung mehr zugänglich ist.

  • War Room

    [Pentagon, War Room], DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (GB, US 1964, Regie: Stanley Kubrick)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F24181_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    War Room
  • SPECTRE Headquarters, Boardroom

    [SPECTRE Headquarters], THUNDERBALL (GB, US 1965, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14272_034
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    SPECTRE Headquarters, Boardroom
  • Showroom

    [Fourth Floor Gallery, Elevator Lobby, Showroom with Column as Missile], Ampas Expo (2003)
    SDK_4.6_201216_N8261_928
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Showroom
3 Abbildungen

… und das Schiff

Ken Adam, der seine Karriere beim Film als Experte für Waffen begann, verdiente seine Sporen weder in der Luft noch an Land, sondern zur See. Im Zentrum seiner Tätigkeit in den 1950er Jahren steht der Handlungsraum des Schiffs in genreprägenden Filmen wie Raoul Walshs CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N. (GB, US 1950) oder Robert Siodmaks THE CRIMSON PIRATE (US, GB 1952), für die er alte Fregatten und einen Piratensegler nachbaute. In Michael Andersons Jules-Verne-Verfilmung AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS (US 1956) kommen gleich mehrere Schaufelraddampfer und Dschunken zum Einsatz, und für HELEN OF TROY (US, IT 1956) von Robert Wise gestaltete Adam die griechische Angriffsflotte, bestehend aus eintausend Galeeren, von denen eine in Originalgröße gebaut wurde. Für den geplanten, aber nicht produzierten Musical-Film „Peter Pan“ (1969) entwarf er das Piratenschiff Captain Hooks. Neben solch historischen Schiffen folgten ab den 1960er Jahren die zahlreichen und vielgestaltigen, teils futuristischen maritimen Vehikel der Bond-Filme. In THE LAST OF SHEILA (US 1973, Regie: Herbert Ross) ist eine Luxusyacht der zentrale Schauplatz des Films.

  • Greek Galley

    HELEN OF TROY (IT, US 1956, Regie: Robert Wise)
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F20120_003
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Greek Galley
  • 'Marie Annick' Pirate Vessel

    "MARIE ANNICK" SAIL PLAN & RUNNING RIGGING, THE CRIMSON PIRATE (GB, US 1952, Regie: Raoul Walsh)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F18370_003
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    'Marie Annick' Pirate Vessel
  • Captain Hook's Ship

    [Never Never Land, Pirates Cove with Hook’s Ship], PETER PAN (GB 1969)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F95533_093
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Captain Hook's Ship
3 Abbildungen

Wie die biblische Erzählung von der Arche Noah bezeugt, ist das Schiff, lange vor den neuzeitlichen Festungen und Bunkern, Inbegriff des künstlich geschaffenen Überlebensraums.7 Dem feindlichen Element des Meeres ausgesetzt, entscheiden die physische Integrität dieser fragilen Hülle und die Kunst der Navigation über Leben und Tod der Besatzung. Die Steuerung des Schiffs ist daher seit der Antike das Paradigma der technischen und der politischen Lenkung. Im 20. Jahrhundert wird der Steuermann, Griechisch „kybernétes“, zum Namensgeber einer neuen Epistemologie, die sich im Umfeld des Zweiten Weltkriegs anschickt, Fragen der Kontrolle und Regelung technischer, biologischer und sozialer Systeme einer einheitlichen theoretischen Begrifflichkeit zu unterstellen. Was mit „Cybernetics“ im Wesentlichen gemeint ist, buchstabiert der Untertitel von Norbert Wieners wegweisendem Buch von 1948 in aller Deutlichkeit aus: „Control and Communication in the Animal and the Machine.“

In der Verschaltung organischer und mechanischer, biologischer und technischer Elemente – von Piloten und Flugzeugen, von Organen und Prothesen, von Augen und Waffen – erscheint Kommunikation nicht primär als Mitteilungsgeschehen, sondern als Kontrollzusammenhang. Die Synthese aus den historischen Dispositiven Schiff und Festung bzw. Bunker ist daher die Kommandozentrale, Schauplatz jener mehr oder weniger fiktiven „Befehlsopern“ aus dem Repertoire des Kalten Krieges, wie sie in DR. STRANGELOVE auf allen Ebenen durchgespielt werden.8 Wendet man sich vor diesem Hintergrund den Bond-Filmen zu, so bezeugen die zahlreichen Kontrollräume in den Labors, Fabriken und Anlagen, die notorischen Befehlszentralen der Schurken ebenso wie der sie bekämpfenden Geheimdienste den Umstand, dass es hier ebenfalls um kybernetische Anordnungen geht, um kontrollierte und kontrollierende Environments.

Im Kontext dieser Beispiele fehlt auch die für das kybernetische Paradigma charakteristische Vermischung technischer und natürlicher Elemente nicht, eine spezifische Ökologie, die sich in doppelter Weise manifestiert. Einerseits sind die Mega-Architekturen der Bösewichte regelmäßig in unwirtliche Landschaften und überlebensfeindliche Umgebungen eingepasst: in Gletschern, unter Wasser, in der Wüste, im Regenwald, in Vulkankratern oder im Weltraum. Umgekehrt finden sich regelmäßig Elemente der natürlichen Umgebung im Innern: Felswände und Natursteine, große Pflanzen, Wasserbecken und Aquarien gehören zum festen Repertoire von Adams Interieurs.9 Beide Aspekte bezeugen die Präsenz einer auf das Leben gerichteten Macht, die souverän über die Durchdringung und Trennung von Innen- und Außenraum, über die Mischung und Sonderung der Milieus und Habitate zu verfügen weiß.

  • Auric Enterprises

    [Auric Enterprises, Dome in Glacierscape], „GoldenEye: Rogue Agent“ (2004)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_N8261_915
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Auric Enterprises
  • Atlantis

    [Atlantis], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F16059_072
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Atlantis
  • Space Station

    [Space Station], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14476_183
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Space Station
  • Dr. No's Complex, Living Room

    [Dr. No’s Complex, Living Room], DR. NO (GB, US 1962, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20940_021
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Dr. No's Complex, Living Room
  • Blofeld's Volcano Lair, Office

    [Volcano, Office], YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F33917_010
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Blofeld's Volcano Lair, Office
  • Drax' Headquarters, Great Chamber

    [Launch Complex, Great Chamber], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14476_197
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Drax' Headquarters, Great Chamber
6 Abbildungen

Mobile Räume

In DR. STRANGELOVE bilden Kommandobunker, Luftwaffenstützpunkt, ‚fliegende Festung‘ und Bombe eine geschlossene mediale Kette.10 Folgt man dieser Logik, so nehmen die Fahrzeuge eine Mittelstellung zwischen den kybernetischen Architekturen auf der einen Seite und den Waffen und Gadgets auf der anderen Seite ein. Übergänge zwischen Vehikeln und technischen Umgebungen finden sich dabei auf zwei Ebenen. Zum einen sind die von Adam gestalteten futuristischen Interieurs, besonders innerhalb der James-Bond-Filme, durch avancierte Transportsysteme oder Verkehrsterminals geprägt. Paradigmatisch ist hier Blofelds Zentrale innerhalb des erloschenen Vulkankraters in YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert), eines der aufwändigsten Sets der Filmgeschichte,11 mit der zentral angeordneten Raketen-Startrampe, der Hubschrauber-Plattform mit Helikopter, dem umlaufenden Monorail-System sowie zahlreichen kleineren Fahrzeugen. Im Film löst sich die Statik des Raums in die Trajektorien dieser Luft-, Boden- und Raumfahrzeuge auf, die Architektur findet ihren Zweck und ihr Prinzip in der Dynamik der Vehikel.

Auch in THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert) ist die Durchdringung des Raums mit Transport- und Kommunikationsmitteln charakteristisch, etwa in der Gestaltung der maritimen Zentrale Atlantis mit ihren dominanten Helikopter-Plattformen und Parabolantennen oder innerhalb der Korridore des Supertankers Liparus, in denen Adam erneut ein Monorail-System einsetzt. Dasselbe Prinzip findet sich in einem ganz anderen Set und Genre wieder: In dem MGM-Musical PENNIES FROM HEAVEN (US 1981) von Herbert Ross wird der Schauplatz der „El Street“ von den aufgeständerten Schienen und Schwellen einer Hochbahn dominiert. Die Skizzen des Spaceshuttle-Startkomplexes in Drax‘ Hauptquartier in MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert) gemahnen an die Ästhetik des Futurismus und illustrieren, wie stark Adams Raumgestaltung in der Entwurfsphase auf die Dynamik der Vehikel abgestimmt ist, hier verkörpert in der abschussbereiten Mischung aus Rakete und Gleiter. Entsprechendes gilt für den Schwerkraftsimulator, den Adam als kreisrunden, ganz von der kinetischen Energie des riesigen Zentrifugenarms beherrschten Raum entwirft.

Neben solchen Hybridisierungen von Transportmitteln und Architekturen gibt es zahlreiche Vehikel, die sich selbst als ‚mobile Architekturen‘ verstehen lassen und vom klassischen Dispositiv des Schiffs abgeleitet sind, wie es oben beschrieben wurde. Unterseeboote und Raumfahrzeuge samt den zugehörigen Shuttles und Rettungskapseln dienen zugleich der Bewegung und dem Überleben in feindlichen Milieus und können, je nach Funktion und Größe, ihrerseits mobile Kontrollräume und Kommandozentralen beherbergen. Für YOU ONLY LIVE TWICE gestaltete Adam einen als Kommandozentrale und Wohnraum dienenden U-Bahn-Zug, mit dem der japanische Geheimdienstchef „Tiger“ Tanaka sich in Tokio bewegt, und für ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE (GB, US 1969, Regie: Peter Hunt) entwarf er einen überdimensionalen Caravan mit Garage und Heliport als mobiles Hauptquartier, das dann aber nicht realisiert wurde.

  • Blofeld's Volcano Lair

    [Volcano], YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F33917_009
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Blofeld's Volcano Lair
  • Drax' Headquarters, Space Shuttle Launch Complex

    [Launch Complex, Launch Pad], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14476_106
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Drax' Headquarters, Space Shuttle Launch Complex
  • Atlantis, Dome

    [Atlantis, Dome and Heliport], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F16059_049
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Atlantis, Dome
  • 'El' Street & Station

    [The 'El'], PENNIES FROM HEAVEN (US 1981, Regie: Herbert Ross)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F35601_172
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    'El' Street & Station
  • Supertanker Liparus, Corridor

    [Supertanker, Corridor], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20003_024
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Corridor
  • 'Drax Enterprise Corporation' Complex, Centrifuge

    [Drax Complex, Centrifuge], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14476_189
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    'Drax Enterprise Corporation' Complex, Centrifuge
  • Drax' Headquarters, Vehicle

    [Launch Complex, Vehicle], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14476_145
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Drax' Headquarters, Vehicle
  • USS Enterprise

    [USS Enterprise], STAR TREK - THE MOTION PICTURE (US 1979, Regie: Robert Wise)
    Zeichner: Ralph McQuarrie
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F19823_135
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    USS Enterprise
  • Space Shuttle

    [Shuttlecraft], STAR TREK - THE MOTION PICTURE (US 1979, Regie: Robert Wise)
    Zeichner: Ralph McQuarrie
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F19823_181
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Space Shuttle
  • Escape Capsule

    [Escape Capsule], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F16059_054
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Escape Capsule
  • Tiger Tanaka's Train, Cabin

    [Tiger Tanaka's Train, Cabin], YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F33917_007
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Tiger Tanaka's Train, Cabin
  • Headquarter Caravan

    [Headquarter Caravan], ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE (GB, US 1969, Regie: Peter R. Hunt)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F35966_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Headquarter Caravan
12 Abbildungen

Ein faszinierendes Beispiel für die wechselseitige Einbettung von mobilen und immobilen Räumen ist der gigantische Supertanker Liparus des machtbesessenen Reeders Stromberg in THE SPY WHO LOVED ME, der ein sowjetisches, ein britisches und ein amerikanisches Atom-Unterseebot ‚verschluckt‘ und in seinem Inneren gefangen hält. Die echte Liparus war ein 1975 in Dienst gestellter Öl-Tanker der Shell-Company. Für die Außenaufnahmen, die auf den Bahamas gedreht wurden, war ein großes Modell des Tankers mit 20 Metern Länge nachgebaut worden. Die Innenaufnahmen fanden wie gewohnt in den Pinewood Studios statt. Für das Set wurde hier eine eigene Halle mit einem Wassertank errichtet, deren Bau fast eine Million Pfund kostete.12 Die drei mit Nuklearraketen bewaffneten U-Boote, in der Realität bis zu 130 Meter lang, wurden als großmaßstäbige Modelle nachgebaut, deren Länge von 80 Metern Originalgröße suggeriert. Gebaut wurde jeweils nur die obere, sichtbare Hälfte der Bootskörper, unten bewegten sie sich auf Schienen, die am Boden des Wassertanks angebracht waren. Die Idee, U-Boote zum Zweck der Versorgung und Reparatur in das Innere größerer Schiffe zu manövrieren, die wie schwimmende Docks funktionieren, ist an sich nicht neu. In einem Artikel der Zeitschrift „Popular Science“ aus dem Jahr 1917 finden sich detaillierte Beschreibungen zu einer entsprechenden Anordnung unter der Bezeichnung „Mother of a Submarine Flotilla“.

Das Ensemble der Liparus inspirierte den britischen Star-Architekten Norman Foster bei seinem Entwurf der U-Bahnstation Canary Wharf in den Londoner Docklands. Das Innere der Station bildet ein langgestreckter, kathedralenartiger Raum, dessen zentrale Säulenreihe und schräge Deckenkonstruktionen an die Docking-Bay der Liparus erinnern. Eine noch stärkere Nähe zeigt die 2015 eröffnete Crossrail-Station, deren Entwürfe ebenfalls aus dem Büro Fosters stammen. Die Station, die wie ein Schiff im Wasser liegt, greift das Prinzip der rekursiven Einbettung von Transportsystemen auf. Die Enden des abgeschrägten Dachs gemahnen an die geöffneten Bugflügel der Liparus.

  • Supertanker Liparus, Docking Bay

    [Supertanker, Jetty], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_156
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Docking Bay
  • Supertanker Liparus, Docking Bay

    [Supertanker, Gantry], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_036
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Docking Bay
  • Supertanker Model

    THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.2_201216_F16059_012
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Model
  • Crossrail Place, Canary Wharf, London, United Kingdom 2008 - 2015

    Architekt: Norman Foster
    Quelle: http://www.fosterandpartners.com/projects/crossrail-place-canary-wharf/

    Crossrail Place, Canary Wharf, London, United Kingdom 2008 - 2015
  • Canary Wharf Underground Station, London, UK 1991 - 1999

    Architekt: Norman Foster
    Quelle: http://www.fosterandpartners.com/projects/canary-wharf-underground-station/

    Canary Wharf Underground Station, London, UK 1991 - 1999
  • What the "Mother" of a Submarine Flotilla Looks Like

    Quelle: Popular Science Monthly, Volume 91, Nr. 3, September 1917, S.381.

    What the "Mother" of a Submarine Flotilla Looks Like
6 Abbildungen

Verbrechen und Weltverkehr

Die James-Bond-Filme sind somit prägnanter Ausdruck einer modernistischen Faszination für Transport- und Nachrichtentechnologien aller Art. Ihren Grund scheint diese allgemeine Mobilmachung im Kampf zwischen Gut und Böse in dem Umstand zu finden, dass die Machtfantasien der Schurken keine Grenzen kennen. Sie operieren nicht lokal, ihre Netzwerke und Geheimorganisationen sind vielmehr transkontinental organisiert. Den Blofelds, Strombergs und Drax‘ geht es ums Ganze, sie wollen die Menschheit beherrschen, die gesamte Erde inklusive des erreichbaren Weltraums in ihre Gewalt bringen. Während ihre Schaltzentralen mobil und versteckt, also wesentlich unverortet sind, verfügen sie zugleich über großräumige Karten und Globen, die diesen Herrschaftsanspruch sinnfällig machen: Medien, die eine deterritorialisierte Macht im entscheidenden Augenblick auf konkrete und lokale Punkte lenken sollen.

Entsprechendes gilt für die militärischen und geheimdienstlichen Netzwerke, in denen Agenten wie Bond sich bewegen: Im Kontext des Kalten Krieges entspinnt sich ein Kampf um die Kontrolle des Globus, der die größenwahnsinnigen Bösewichte und ihre ebenfalls im Geheimen und jenseits der Legalität operierenden Kontrahenten zu Kollegen macht. Was im Bond-Universum buchstäblich auf dem Spiel steht, sind „Weltprojekte“13. Historisch treten die beteiligten Parteien damit das Erbe jenes verkehrstechnischen Globalisierungsschubs an, den das 19. Jahrhundert mit den transnationalen Verbundsystemen aus Eisenbahnen und Dampfschiffen, Kanälen und Telegrafenkabeln und den damit verbundenen Institutionen wie „Weltpost-“ und „Welttelegraphenverein“ hervorbringt.

Die ‚Schrumpfung‘ des Raums und die Standardisierung der Zeit lassen die Idee einer technisch kontrollierbaren Welt entstehen, die neben der Intensivierung imperialer und kolonialer Herrschaft weitreichende ästhetische und kulturelle Effekte zeitigt. Ihren literarischen Niederschlag haben die damit verbundenen Verkehrsutopien beispielhaft in den Erzählungen und Romanen Jules Vernes gefunden: „Fünf Wochen im Ballon“ (1863), „Von der Erde zum Mond“ (1865), „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ (1869/70), „Reise um den Mond“ (1870) und „Reise um die Erde in 80 Tagen“ (1873) sondieren die Möglichkeiten der technischen Moderne und tragen zur Popularisierung des damit verbundenen Wissens bei. Besonders der letztgenannte Roman führt dem Leser vor Augen, dass sich die zeitgenössische ‚Welt‘ vollständig als Verkehrszusammenhang erschließt. Die Protagonisten, Phileas Fogg und sein Diener Passepartout, „nutzen nur jeweils kleine Elemente im Getriebe einer Verkehrsmaschinerie, sie markieren für den Augenblick einer Etappe einen minimalen Ausschnitt im globalen Geflecht der Übertragungsmöglichkeiten. Durch ihre Reise legen sie ihren zeitgenössischen Lesern einen exemplarischen Blick frei auf ein kaum zu überschauendes Angebot an Anschlüssen zwischen Verkehrsleistungen, das – genügend Banknoten vorausgesetzt – ohne größere Mühe die Welt zu umreisen erlaubt.“14

Als der Roman 1956 verfilmt wurde, arbeitete Adam als Art Director unter William Cameron Menzies, einem der wichtigsten Szenenbildner der Filmgeschichte und Pionier des Production Designs. Menzies hatte in dem genreprägenden Science-Fiction-Klassiker THINGS TO COME (GB 1936) Regie geführt, dessen von Vincent Korda gestaltete futuristische Ausstattung Adam nachhaltig beeinflusst hat. Der enge Austausch mit Menzies bei der Produktion von AROUND THE WORLD IN 80 DAYS wurde für Adam zu einem Schlüsselerlebnis. Seine farblich stilisierten Sets des Reform-Clubs und von Lloyds of London brachten ihm eine Oscar-Nominierung ein. Die turbulente Handlung des Films aber, darin folgt er der Intention der Romanvorlage, wird von Verkehrsmitteln aller Art bestimmt: „Das Gefüge aus Eisenbahn, Telegraph und Dampfschifffahrt erweist sich als die eigentliche Hauptfigur(ation) einer Reise um die Erde in 80 Tagen; es dient gleichsam als der eigentliche Protagonist der Erzählung. Fogg, ganz Gentleman und nüchtern kalkulierender Realist, stellt mit seiner Wett- und Weltreise nichts als die Leistungsfähigkeit des Weltverkehrs und mithin des British Empire unter Beweis.“15

Der Drang zur restlosen Erschließung und technischen Unterwerfung der Welt findet sein Echo in Goldfingers Rede an seine Gangsterkollegen: „Man has climbed Mount Everest. Gone to the bottom of the ocean. He has fired rockets at the moon. Split the atom. Achieved miracles in every field of human endeavour – except crime!“ Im Unterschied zum Weltverkehr des 19. Jahrhunderts dringen die Kriege des 20. Jahrhunderts, in forcierter Weise naturwissenschaftlich und technologisch gestützt, in alle Dimensionen und Maßstäbe der Biosphäre vor und überschreiten diese schließlich in Richtung des Weltraums. Damit einher geht eine epochale Ausweitung der Kriegsführung vom klassischen zweidimensionalen Terrain der Erd- und Meeresoberfläche in die dritte Dimension der Flugzeuge, Unterseebote und unterirdischen Festungsanlagen, deren historisches Paradigma die Maginot-Linie bildet.16

„Als ‚self-contained environment‘ steht die Maginot-Linie mitten im Kontext der dreißiger Jahre, im Kontext der Streamline-Flugzeuge mit Druckkabine, der Weltraum-Szenarios in den Comics, Frank Lloyd Wrights nach außen abgeschlossenem Bau für Johnson Wax oder eben Kordas Zukunftsbild. Überall finden sich elaborierte Techniken der Umweltkontrolle, künstliche Umgebungen, die ein Leben unabhängig von den Bedingungen der Außenwelt ermöglichen. Auf die latent bellizistische Dimension dieser Art von Räumen macht Lewis Mumford aufmerksam […]. So gesehen wären die Luftschutzkeller einerseits und die Klimaanlagen wie das permanent brennende Neonlicht in den Wolkenkratzern andererseits Ausdruck derselben Fehlentwicklung: gleichförmige, künstliche innere Umwelten als Refugium gegenüber einer fehlgeleiteten, zerstörerischen Zivilisation.“17

In der fiktiven Historiografie „The Shape of Things to Come“ (1933), auf der Menzies‘ einflussreicher Film von 1936 basiert, hatte H. G. Wells die Idee eines modernen Weltstaats entworfen, dessen technokratische Lenkung vom Transportsektor ausgeht und sich besonders am Paradigma des Flugzeugs als der avanciertesten Verkehrsform orientiert. Gestützt auf eine global operierende Luftpolizei verwandelt sich dieses politische Gebilde schließlich in eine „Air Dictatorship“, die Technik- und Verkehrsutopie nimmt totalitäre Züge an. Wells schreibt angesichts einer neuen Ökologie des Krieges.18 Sie zielt auf die Beherrschung aller Elemente und Raumdimensionen, führt zu einer Eskalation der Mobilisierung und bildet einen wesentlichen Teil der Genealogie jener Vielzahl von Waffen, Transport- und Kommunikationsmitteln, denen wir später auch in den Filmwelten Ken Adams begegnen.

Schiene, Straße und Terrain

Eine kleine Typologie der Fahrzeuge könnte somit am Medium ansetzen, dessen Durchquerung und Beherrschung jeweils auf dem Spiel stehen. Zu nennen wäre zunächst die klassische Eisenbahn, die als dramatisches wie handlungsbestimmendes Element in AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS figuriert und später regelmäßig zum Schauplatz turbulenter Auseinandersetzungen zwischen James Bond und seinen Gegenspielern wird – wie dem erbitterten Zweikampf 007s mit dem stahlgebissbewehrten Riesen Jaws in THE SPY WHO LOVED ME. Daneben entwickelte Adam ein besonderes Faible für Monorail-Systeme, die aus der Science Fiction in reale Planungskontexte des urbanen Personennahverkehrs einwandern. Für den eben genannten Bond-Film sowie für YOU ONLY LIVE TWICE und – gut 25 Jahre später – für das Computerspiel „Golden Eye: Rogue Agent“ (2004) entwarf Adam futuristisch designte, induktionsgetriebene Vehikel, deren berührungsloses Dahingleiten das Steampunk-Image der Eisenbahn vergessen macht und das Prinzip des Schienenfahrzeugs zuverlässig vom 19. ins 21. Jahrhundert transportiert.

  • Supertanker Liparus, Suspension Monorail

    [Supertanker, Monorail], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_042
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Suspension Monorail
  • Monorail & Airlock

    [Auric Enterprises, Airlock and Monorail Entrance, Elevation and Groundplan], „GoldenEye: Rogue Agent“ (2004)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_N8261_571
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Monorail & Airlock
  • Supertanker Liparus, Linear Induction Craft

    [Supertanker, Linear Induction Craft], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_131
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Linear Induction Craft
3 Abbildungen

Weit stärker als die Schienenfahrzeuge haben Automobile das populäre Imaginarium der Bond-Filme geprägt. Hochmotorisierte und teure Sportwagen gehören bis heute zu den ikonischen Ausstattungselementen. Den Grundstein zu dieser Entwicklung legte der legendäre Aston Martin DB5, den Ken Adam für die beiden Filme GOLDFINGER und THUNDERBALL (GB, US 1965, Regie: Terence Young) mit zahlreichen Gadgets ausrüsten ließ. Die Auftritte der Fahrzeuge in den Bond-Filmen, darunter auch ein Toyota 2000 GT oder ein Ford Mustang Mach I,  steigerten das Image der jeweiligen Marken und die Kundennachfrage spürbar. Hatte das traditionsreiche Haus Aston Martin auf Ken Adams Anfrage, zwei Exemplare des DB5 zur Verfügung zu stellen, noch reserviert reagiert, änderte sich diese Situation sehr bald. Die Auswahl des weißen Lotus Esprit S1 als Bond-Car für THE SPY WHO LOVED ME verdankte sich der trickreichen Initiative eines PR-Managers, der ein Vorserienexemplar des Esprit auf einem Parkplatz vor den Pinewood Studios platzierte, wo es die Aufmerksamkeit des Produzenten Albert R. ‚Cubby‘ Broccoli auf sich zog.

Neben vierrädrigen Fortbewegungsmitteln sind natürlich auch zahlreiche Motorräder und unkonventionellere Fahrzeuge auf Adams Sets vertreten: Für DIAMONDS ARE FOREVER entwarf er einen skurrilen Moonbuggy, der in Willard Whytes Techtronics-Firma an einer simulierten Mondlandung teilnimmt. Auf seiner Flucht aus dem Komplex stolpert Bond in diese Szene, kapert das Fahrzeug und liefert sich in der Mojave-Wüste eine wilde Off-Road-Verfolgungsjagd mit Blofelds Schergen, die auf mit Ballonreifen ausgestatteten Trikes vom Typ Honda ATC 90 hinter ihm her sind. Die gesamte Sequenz ist ein vielschichtiges Meisterstück der ironischen Technik-Inszenierung.

  • Lunar Vehicle

    LUNAR VEHICLE, DIAMONDS ARE FOREVER (GB, US 1971, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F26669_108
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Lunar Vehicle
  • Lunar Vehicle

    DIAMONDS ARE FOREVER (GB, US 1971, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F26669_130
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Lunar Vehicle
2 Abbildungen

Über und unter Wasser

Als Experte für das nasse Element hat Ken Adam zusammen mit wechselnden Teams für zahlreiche Filmproduktionen maritime Vehikel gestaltet, das Repertoire reicht vom Schaufelraddampfer bis zur Dschunke, vom Piratenschiff bis zur venezianischen Gondel, vom Öltanker bis zum Rennboot, von der Galeere bis zur Luxusyacht. Neben den bereits genannten Beispielen finden sich auch skurrile Fortbewegungsmittel: In DIAMONDS ARE FOREVER landet Bond mit dem Fallschirm in der Nähe von Blofelds Ölplattform – im Innern eines großen Balls, in dem er dann über die Wasseroberfläche läuft. Ähnliches findet man heute in Vergnügungsparks.

Als Offizier der britischen Marine weiß sich James Bond nicht nur über, sondern auch unterhalb der Wasseroberfläche zu bewegen, wobei ihm erneut eine erhebliche Bandbreite an Vehikeln zur Verfügung steht. Zu Beginn von YOU ONLY LIVE TWICE verlegt Adam M’s Büro in das Innere eines britischen U-Boots, das am Ende des Films buchstäblich noch einmal auftaucht, um die Rettungsinsel mit Bond und Kissy Suzuki zu bergen. Militär-U-Boote verschiedener Nationalitäten und Klassen kommen in den folgenden Bond-Filmen regelmäßig zum Einsatz. Daneben designte Adam eine Reihe spektakulärer Unterwasserfahrzeuge wie Blofelds Mini-U-Boot, mit dem der Spectre-Chef in DIAMONDS ARE FOREVER vergeblich versucht, seine als Bohrinsel getarnte Zentrale zu verlassen, oder das Spezialtauchboot, mit dem der Schurke Emilio Largo in THUNDERBALL Nuklearwaffen aus einem versenkten Vulcan-Bomber bergen lässt. Ein weiteres, mit Torpedos ausgestattetes Unterwasserfahrzeug attackiert Bonds untergetauchten Lotus Esprit in THE SPY WHO LOVED ME. Bei diesem elektrisch getriebenen Vehikel handelte es sich um einen modifizierten „Shark Hunter II“, gebaut von der in Kalifornien ansässigen Spezialfirma Perry Oceanographics. Für die opulent in Szene gesetzten Unterwasser-Schlachten der beiden letztgenannten Filme entwarf Ken Adam außerdem spezielle, mit Harpunen und Torpedos bewaffnete Tauch-Scooter für Bonds Gegner.

Die eingesetzten Tauchschlitten gehen historisch auf das Prinzip des bemannten Torpedos zurück, das im Kontext des Ersten Weltkriegs zunächst von der italienischen Marine entwickelt und später von allen Seestreitkräften vielfach variiert wurde. Ideen zur zivilen Nutzung gibt es bereits recht früh; in der Ausgabe des Magazins „Popular Mechanics“ vom September 1921 wird ein Wasserschlitten mit der Bezeichnung „Submerging Pleasure Boat“ als Sportgerät beschrieben.

  • Underwater Bomb Carrier

    [Submarine Nuclear Bomb Carrier], THUNDERBALL (GB, US 1965, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F14272_060
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Underwater Bomb Carrier
  • Underwater Vehicle

    [Stromberg’s Mini Submarine], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_133
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Underwater Vehicle
  • SUBMARINE TOWING VEHICLE, THUNDERBALL (GB, US 1965, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F14272_062
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

  • Blofeld's Underwater Craft

    [Submarine], DIAMANDS ARE FOREVER (GB, US 1971, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F26669_053
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Blofeld's Underwater Craft
  • Underwater Weapon

    [Submarine Sleigh], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_134
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Underwater Weapon
  • The "Submerging Pleasure Boat"

    Quelle: Popular Mechanics Magazine, Ausgabe September 1921, S.355.

    The "Submerging Pleasure Boat"
6 Abbildungen

Im Flug

Als historisch erste Luftfahrzeuge dürfen Ballons und Luftschiffe gelten, deren Genealogie bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Ein Ballon gelangt bereits in THE CRIMSON PIRATE zum Einsatz, ebenso in AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS. In Ken Hughes´ CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968) wurde statt des ursprünglich geplanten Modells ein Luftschiff in Originalgröße verwendet, über 30 Meter lang und mit einem VW-Motor ausgestattet, das ein Hobbyballonfahrer gebaut hatte. Das Prinzip, in allen Filmen möglichst funktionsfähige Fahrzeuge und Gadgets zu verwenden, führte Adam oft dazu, technikbegeisterte Amateure einzubeziehen: „Man findet überall auf der Welt Leute, die ihr Leben lang an irgendwelchen Maschinen herumbasteln und dann sehr glücklich sind, wenn jemand vom Film anfragt, ob sie nicht einen Taschen-Hubschrauber oder ein Mini-U-Boot bauen können.“19

Anders als die antiquiert anmutenden aerostatischen Luftschiffe ist das motorgetriebene aerodynamische Flugzeug ein Kind des 20. Jahrhunderts. Neben der Automobilität hat die Aeromobilität in Gestalt der militärischen und der nach dem ersten Weltkrieg einsetzenden zivilen Luftfahrt nachhaltig auf die Alltagskultur und Vorstellungswelt der modernisierten westlichen Gesellschaften gewirkt. Auch Bond reist mit dem modernen Passagierflugzeug, mit Boeings und in MOONRAKER sogar mit der Concorde. Ein besonderer Touch von Luxus und technologischem Vorsprung haftet den Privatflugzeugen der Bösewichte an. Die von Ken Adam opulent ausgestattete Maschine Goldfingers, eine Lockheed JetStar, war in den 1960er Jahren einer der ersten verfügbaren Business-Jets überhaupt. Eindruck hinterlassen auch einige Kampfflugzeuge, etwa in DR. STRANGELOVE und in vielen der James-Bond-Filme, prominent vertreten durch den strategischen Bomber Avro Vulcan, das britische Gegenstück zur B-52, in THUNDERBALL.

Als Transportmittel und Waffe dienen in den von Adam ausgestatteten 007-Filmen ferner zahllose Hubschrauber der unterschiedlichsten Hersteller, Typen und Bauformen, die von Bond und seinen Mitstreitern ebenso eingesetzt werden wie von seinen Kontrahenten. Besonders spektakulär ist der ungleiche Kampf zwischen Bonds kleinem Gyrokopter „Nellie“ und den von Blofelds Männern geflogenen Hubschraubern vom Typ Bell 47G-3 in YOU ONLY LIVE TWICE.

Wie in den anderen Verkehrszonen, finden sich auch im Luftraum der Adam’schen Filme skurrile Vehikel und ungewöhnliche Szenen. In THUNDERBALL bedient sich 007 eines Jetpacks, um vor den Schergen des Spectre-Agenten Jacques Bouvar zu fliehen, den er gerade getötet hat. Der verwendete „Rocket Belt“ war ab Mitte der 1950er Jahre im Auftrag der US Army von der Firma Bell Aerosystems entwickelt worden, doch aufgrund der kritischen Flugeigenschaften und unzureichenden Leistung wurde das Gerät niemals in Auftrag gegeben. In CHITTY CHITTY BANG BANG experimentiert Caractacus Potts mit einer ähnlichen Vorrichtung, bestehend aus auf den Rücken geschnallten Raketen und Flügeln  – ebenfalls ohne nennenswerten Erfolg.

  • Hot Air Balloon

    Szenenfotografie aus THE CRIMSON PIRATE (GB, US 1952, Regie: Robert Siodmak)
    Inv.nr.: SDK_4.2_201216_F18370_007
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Hot Air Balloon
  • Chitty Flying Car

    [Chitty Chitty Bang Bang, Flying Car], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F22040_158
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Chitty Flying Car
  • Goldfinger's Private Jet

    [Goldfinger's Private Jet], GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F20003_042
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Goldfinger's Private Jet
3 Abbildungen

Ganz oben

Die verkehrstechnische Erschließung des Weltraums stellt eine weitere Eskalationsstufe der Globalisierung dar und ist deshalb nicht weniger ‚unschuldig‘ als die Eroberung der Erde. Dass James Bond und seine Gegner das All – wenn auch in erdnahen Umlaufbahnen – zum Kampfplatz machen, ist insofern konsequent. Die Bond-Filme der 1960er Jahre beziehen die populäre Faszination des Space-Age auf den Kontext des Kalten Krieges: Dr. No will das amerikanische Mercury-Projekt sabotieren, indem er startende Raketen mit einem Funkstrahl zum Absturz bringt, zu dessen Energieversorgung er eine eigene Nuklearanlage betreibt. Der Look der betreffenden Sets und Kostüme erinnert deutlich an METROPOLIS.

In YOU ONLY LIVE TWICE bedient sich Blofeld eines speziellen raketenförmigen Raumfahrzeugs, um bemannte amerikanische und sowjetische Raumkapseln zu entführen. Es ist die Szene einer feindseligen ‚Einverleibung‘ unter Maschinen, wie zuvor schon für die Liparus beschrieben: Bemannte Raumkapseln amerikanischer und sowjetischer Provenienz  verschwinden im aufklappenden Bug von Blofelds Raumfahrzeug wie zwischen den Kiefern eines großen Tieres; die beiden Supermächte sollen sich gegenseitig verdächtigen und schließlich vernichten, so dass er die Weltherrschaft antreten kann. In DIAMONDS ARE FOREVER lässt derselbe Bösewicht einen Satelliten bauen, dessen Laserstrahl die Atomwaffen der Großmächte aus dem Weltraum zerstören soll, um aus dem nuklearen Ungleichgewicht Kapital zu schlagen. In Adams Entwürfen der Raumfahrzeuge und des Satelliten verbinden sich die technischen Utopien der Zeit mit der dystopischen Realität.

Ende der 1970er Jahre haben die klassischen Raketen ausgedient, der koloniale Heroismus der Mondflüge ist dem Zeitalter der wiederverwendbaren Spaceshuttles und langlebigen Raumstationen gewichen. Für MOONRAKER gestaltete Adam ein ganzes Verbundsystem der entsprechenden Vehikel: das Spaceshuttle, zunächst geschultert von einer Boeing 747, später auf dem Rücken von Treibstofftank und Feststoffraketen, inklusive Abschusskomplex mit Startrampe. Adams Entwürfen waren Recherchen bei der NASA in Kalifornien vorausgegangen. Erste Tests mit einem realen Spaceshuttle, in Anlehnung an die populäre Star-Trek-Serie auf den Namen „Enterprise“ getauft, hatten 1976 stattgefunden – James Bond war erneut auf der Höhe der Zeit. Weitere Sets umfassen den „Zero Gravity Satellite“ und die komplexe Raumstation, deren Äußeres Adam in der bewussten Absetzung von vorhandenen realen und fiktionalen Designs weder kreisförmig noch langgestreckt entwarf, um eine spannungsvolle visuelle Dynamik zu erzielen: „Ich sah die Raumstation wie ein Mobile, mit irregulären Auslegern, die ihre Form zu wechseln schienen, sobald sich die Station zu drehen begann.“20 Für den im gleichen Jahr wie MOONRAKER erscheinenden Film STAR TREK - THE MOTION PICTURE (US 1979, Regie: Robert Wise) skizzierte Adam zahlreiche Raumschiffe und Shuttles. Unter den Entwürfen, die später keine Verwendung finden sollten, sind Studien zur Gestaltung der Enterprise, die noch einmal Adams Verfahren der Synthese elementarer Formen (Kreis, Dreieck, Trapez, Zylinder) verdeutlichen.

  • Diamond Satellite

    [Diamond Satellite], DIAMONDS ARE FOREVER (GB, US 1971, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F26669_110
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Diamond Satellite
  • Drax' Headquarters, Space Shuttle Launch Complex

    [Launch Complex, Launch Pad], MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F14476_201
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Drax' Headquarters, Space Shuttle Launch Complex
  • USS Enterprise

    [USS Enterprise], STAR TREK - THE MOTION PICTURE (US 1979, Regie: Robert Wise)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F19823_110
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    USS Enterprise
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Metaphern und Metamorphosen

Verkehrstechnische Macht und militärische Überlegenheit erfahren dort ihre Steigerung, wo Vehikel nicht auf ein Element beschränkt sind, sondern sich, gleichsam amphibisch, zwischen mehreren Milieus bewegen können. Diese Überschreitung der medialen Grenzen hängt oft mit einer morphologischen und funktionalen Verwandlungsfähigkeit der Transportmittel zusammen, die einen ganz besonderen Reiz ausübt.21 Das in dieser Hinsicht vielseitigste aller von Ken Adam entworfenen Vehikel entstammt nicht der Welt des 007, sondern einem Kinderbuch, das der Bond-Autor Ian Fleming kurz vor seinem Tod 1964 für seinen Sohn Caspar geschrieben hatte: Held der Geschichte ist ein magisches Auto mit dem lautmalerischen Namen „Chitty Chitty Bang Bang“, zu dem sich Fleming von einer Serie englischer Rennwagen hatte inspirieren lassen, die vom Grafen Louis Zborowski und seinem Ingenieur Clive Gallop in den 1920er Jahren entwickelt worden waren und als „Chitty Bang Bangs“ bekannt wurden. Der Name spielte auf das Motorengeräusch von Flugzeugen im Ersten Weltkrieg an – die frühen Modelle Zborowskis waren tatsächlich mit riesigen Maybach-Flugzeugmotoren ausgestattet. Für das Film-Musical CHITTY CHITTY BANG BANG entwarf Ken Adam ein wahrhaft multimodales Vehikel, das über zahlreiche ausfahrbare Details wie Luftkissenschürzen, seitliche Tragflächen, Front- und Heckleitwerk, horizontal angeordnete Rotoren und einen vertikalen Propeller verfügte, um seine menschlichen Gefährten durch ihre Abenteuer zu Land, zu Wasser und in der Luft zu geleiten. „Es war gewiss eines der schwierigsten Dinge, die ich je gemacht habe. Es sollte wie ein Oldtimer aussehen, aber zugleich fliegen und schwimmen können. Ich musste das Fahrzeug völlig neu erfinden. Ford hatte uns ein Chassis und den Motor zur Verfügung gestellt, und mir kam die Idee, die Karosserie ein wenig wie ein Boot aussehen zu lassen, in Anlehnung an die alten Bugattis oder Rolls-Royce.“22

Nicht zufällig gemahnt das Ergebnis von Adams Entwürfen aber auch an jene fantastischen, hybriden Fluggeräte, die Georges Méliès in seinem Film À la conquête du pôle (Die Entdeckung des Nordpols, FR 1912) zum Einsatz brachte, darunter der mit Flügeln und Propellern ausgestattete Luftbus, der als technischer Held des Films firmiert. Méliès‘ früher Science-Fiction-Film basiert ein weiteres Mal auf einer Erzählung Jules Vernes, hier sind es „Die Abenteuer des Kapitän Hatteras“ von 1866.

  • Chitty Car before Transformation

    [Chitty Chitty Bang Bang, Car before Transformation], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F22040_141
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Chitty Car before Transformation
  • Chitty Flying Car

    [Chitty Chitty Bang Bang, Flying Car], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F22040_162
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Chitty Flying Car
  • Chitty Hover Car

    [Chitty Chitty Bang Bang, Hover Car], CHITTY CHITTY BANG BANG (GB, US 1968, Regie: Ken Hughes)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F22040_159
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Chitty Hover Car
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Neben den technischen Besonderheiten des Wagens ist die Geschichte des Musicals von 1968 besonders dadurch geprägt, dass Chitty Chitty Bang Bang mit Intelligenz, Handlungsinitiative und einer eigenen Persönlichkeit ausgestattet ist, also zugleich verlebendigt und anthropomorphisiert erscheint. Auch der Untertitel von Flemings Roman, „The Magical Car“, sowie das Nummernschild des Wagens, „GEN 11“, das als „Genie“ ausgesprochen werden kann, deuten darauf hin, dass dieses wandlungsfähige Automobil ein magisch-animistisches Technikverständnis verkörpert. Damit ist eine Faszinationsgeschichte aufgerufen, die sich einerseits in der Gattung des Märchens artikuliert, andererseits bis auf die antike Metamorphosen-Literatur zurückreicht. In beiden Traditionen ist das Phänomen des Gestaltwandels übersinnlicher bzw. magischer Natur, und es verbindet sich regelmäßig mit den Momenten der Bestrafung oder der Erlösung, vor allem aber der List und der Täuschung – auch und besonders dort, wo die Metamorphose nicht länger das Privileg der Götter ist, sondern zum allgemeinen Vermögen menschlicher „téchne“ wird. Beispielhaft hierfür sind die trickreichen Erfindungen des Dädalus, der gleichsam den ersten Ingenieur modernen Typs repräsentiert, indem er seinen Körper mit Flugprothesen ausstattet, um sein natürliches Milieu gegen das der Vögel zu vertauschen.

Die Kybernetik des 20. Jahrhunderts nimmt dieses Modell auf, um die Unterscheidung zwischen mechanischen und lebendigen Systemen ebenso wie die Unterscheidung zwischen Technologie und Magie zu streichen, was die zwanglose Übersetzung von Kinderbüchern wie denen Flemings in die Welt der ‚Erwachsenen‘ – und umgekehrt – garantiert. Eine Reminiszenz dieses Zusammenhangs findet sich im ersten James-Bond-Film in Gestalt des mythischen feuerspeienden Drachen von Crab Key, mit dem Dr. No die abergläubischen Einheimischen von seiner Insel fernhält. Das fabelhafte Wesen entpuppt sich als mit einem Flammenwerfer ausgerüstetes Panzerfahrzeug, die Augen und das zähnefletschende Maul sind in naiver Einfachheit aufgemalt.

Innerhalb des Bond-Universums ebenso wie auf der Ebene des Production Designs stellt sich das Problem der Verwandlung somit als genussvoll inszenierte technische Leistung dar. Im nächsten Film, THUNDERBALL, wird aus Emilio Largos Luxusyacht mit dem bezeichnenden Namen Disco Volante (übersetzt: fliegende Untertasse, Ufo)23 auf der Flucht überraschend ein Tragflächenboot, indem sich der hintere Teil, als Katamaran ausgeführt, auf Knopfdruck vom vorderen Rumpf löst. Um diesen Effekt zu ermöglichen, hatte Adams Team die Bootshälften mit Steckbolzen verbunden.

Eine der spektakulärsten Szenen dieser Art ist zweifellos die Verwandlung von Bonds Lotus in ein waffengespicktes U-Boot in THE SPY WHO LOVED ME. Bereits der Anfang der Sequenz bietet eine bewusst inszenierte Kombination von Transportmitteln verschiedener historischer und technologischer Provenienz: Bond und seine Begleiterin entsteigen einer Pferdedroschke und übernehmen den Lotus, der mit aufheulendem Motor vom Deck einer Fähre rollt. Die Einweisung in das Fahrzeug, die Q Bond gibt, wird vom Stimmengewirr am Anleger übertönt, sodass die Zuschauer anders als gewöhnlich über die technischen Raffinessen des Wagens nicht im Bilde sind, um später umso effektvoller überrascht zu werden. Als Bond von einem Helikopter verfolgt wird, steuert er einen langgestreckten Pier an und beschleunigt den Lotus, der mit einem eleganten Satz im Wasser landet. Direkt nach dem Eintauchen beginnt die Transformation zum U-Boot: Die Reifen des Wagens verschwinden in den verschließbaren Radkästen und machen vier Ruderflossen Platz, am Heck erscheinen vier elektrisch betriebene, ummantelte Antriebsschrauben, aus dem Dach fährt ein Periskop. Zu den Besonderheiten gehören ferner eine Abschussvorrichtung für Unterwasser-Luft-Raketen, Torpedos und Wasserminen, ebenso wie eine Vernebelungsvorrichtung, die den Lotus in einer Tintenwolke verschwinden lässt.

Die Produktion der Sequenz war in jeder Hinsicht aufwändig: Lotus stellte dem Team zwei fahrtüchtige Serienfahrzeuge und sieben Fiberglas-Karosserien zur Verfügung, um die verschiedenen Szenen mit jeweils unterschiedlichen technischen Details und Spezialeffekten zu drehen. Das für die Kampfszenen unter Wasser verwendete Fahrzeug fertigte die bereits erwähnte Spezialfirma Perry Oceanographics aus einer der Lotus-Karosserien an. Es konnte bis zu 15 Meter tief tauchen und brachte es auf eine Geschwindigkeit von 7,2 Knoten. Die Jalousien, die das Fahrzeuginnere verbargen, waren notwendig, um die U-Boot-Illusion aufrechtzuerhalten. Tatsächlich war das Auto komplett geflutet und wurde von einem Taucher in voller Ausrüstung bewegt.

  • Disco Volante

    [Disco Volante], THUNDERBALL (GB, US 1965, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F14272_051
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Disco Volante
  • Lotus Esprit

    Film Still aus THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    © 1977 Danjaq, LLC and United Artists Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

    Lotus Esprit
  • Lotus Esprit

    [Lotus Esprit Conversion to Mini Submarine], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_040
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Lotus Esprit
  • Supertanker Liparus, Linear Induction Craft

    [Supertanker, Linear Induction Craft], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_138
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Linear Induction Craft
  • Supertanker Liparus, Linear Induction Craft

    [Supertanker, Linear Induction Craft Conversion to Jetboat], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_164
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Linear Induction Craft
  • Q-Craft

    [Q-Craft], MOONRAKER (GB, US 1979, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F14476_184
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Q-Craft
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Eine ähnliche Transformation wie die Disco Volante und der Lotus macht eines der Induktionsschienenfahrzeuge durch, mit denen die Liparus ausgerüstet ist. Im Film sieht man zunächst, wie das Gefährt mit Stromberg und Anya Amasova an Bord im Innern des Tankers Fahrt aufnimmt, wenig später schießt es durch eine hoch über der Wasserlinie liegende Öffnung in der Bordwand des Tankers ins Freie; im Flug wird die Monorail-Verkleidung in zwei Hälften abgesprengt, und zum Vorschein kommt ein schnittiges Motorboot, das auf der Wasseroberfläche aufsetzt und davonbraust.

Eine weitere klassische Verwandlungssequenz findet sich in MOONRAKER: Als 007 in einer Gondel auf den Kanälen Venedigs verfolgt wird, aktiviert er ein verstecktes Kontrollpanel mit zahlreichen Bedienelementen, worauf seine Gondel zunächst zu einem Motorboot, schließlich zu einem Luftkissenfahrzeug mutiert, mit dem Bond, das nasse Element ebenso wie seine Gegner hinter sich lassend, quer über den Markusplatz schwebt. In einer weiteren Verfolgungsjagd zu Wasser, diesmal auf dem Amazonas (gefilmt wurde in Florida und am Iguazú im brasilianisch-argentinischen Grenzgebiet), steuert Bond das von Q ausgerüstete Motorboot „Q-Craft“. Auch hier gipfelt die Sequenz in einer spektakulären Verwandlungsszene: Als das Boot schließlich über die Kante eines riesigen Wasserfalls schießt, entfalten sich die Tragflächen eines im Kabinendach versteckten Hängegleiters, und 007 segelt wohlbehalten davon, während seine Verfolger in die Tiefe stürzen. Q ist bei Dädalus in die Lehre gegangen.24 

Die Ironie, von denen heroische Gesten in den Bond-Filmen regelmäßig begleitet sind, macht sich besonders in jenen Fällen geltend, wo Fahrzeuge unfreiwillig in ihnen fremde Umgebungen versetzt werden: Als Blofeld in DIAMONDS ARE FOREVER in seinem Mini-U-Boot flüchten will, kapert Bond den Kran, mit dem das Vehikel gerade zu Wasser gelassen wird, und zieht es aus seinem Element. Während 007 scheinbar ungeschickt mit den Bedienhebeln des Krans hantiert, pendelt das U-Boot hilflos in der Luft und demoliert das Labor auf der Bohrinsel wie eine Abrissbirne.

Vehikel und Waffen

Sind die futuristischen Fahrzeuge bei Ken Adam einerseits eng mit mehr oder weniger mobilen Architekturen verbunden, führen sie andererseits auf das Feld der Waffen und Gadgets. Beispielgebend ist hier James Bonds legendärer Aston Martin DB5, der seinen ersten Auftritt in GOLDFINGER hat. Zur Spezialausrüstung gehören die rotierenden Nummernschilder, die bereits im Vorspann des Films zu sehen sind, ein im Armaturenbrett verbautes Ortungsgerät, abgestimmt auf einen speziellen Peilsender, und eine ausfahrbare kugelsichere Platte, die die Fahrzeuginsassen von hinten schützt – ähnliche Panzerungen kommen in Kampfflugzeugen zum Einsatz. Am Heck des Wagens sind Nebel- bzw. Rauchwerfer sowie Vorrichtungen zum Ausstoß von Öl und Krähenfüßen angebracht; im folgenden Film, THUNDERBALL, kommt noch ein Wasserwerfer hinzu. Zu den offensiven Waffen des Fahrzeugs gehören Maschinengewehre und ausfahrbare Rammen auf der Vorderseite sowie ausfahrbare Klingen in den Radnaben – ein Detail, zu dem das Wagenrennen in BEN-HUR (US 1959, Regie: William Wyler) inspiriert hatte. Ein besonderes Highlight ist der Schleudersitz, verbunden mit einem abwerfbaren Dach, der durch einen im Schaltknüppel verborgenen Knopf ausgelöst wird.

Dass Bond mit dem Fahrzeug in GOLDFINGER ausgerechnet an einem als Falle aufgestellten Spiegel scheitert, mag man als ironischen Hinweis auf den Narzissmus nehmen, der hier im Spiel ist. Der bewaffnete Aston Martin hat aber, so Ken Adam, auch eine Vorgeschichte: „Denn ich hatte zu dieser Zeit selbst einen Sportwagen, einen Jaguar E-Type. Doch jedes Mal, wenn ich ihn in London geparkt habe, wurde er von irgendjemandem geschrammt oder gar zerbeult. Also habe ich Rache genommen. Die Gadgets wurden fortan zu einem wichtigen Bestandteil der James Bond Filme.“25 Bei aller Ironie scheint hier der historische Typus des ‚Herrenfahrers‘ aus den Anfangszeiten des Automobilismus durch,26 der die Straße, soweit vorhanden, mit seiner furchterregenden Maschine in Beschlag zu nehmen und unliebsame Hindernisse, belebt oder unbelebt, mit Gewalt aus der Bahn zu werfen pflegte – ein Typus, der sich unausgesetzter Renaissancen erfreut.

Neben dem Aston Martin und dem Lotus Esprit finden sich ähnlich hochgerüstete Fahrzeuge auch zu Luft und zu Wasser. Der Tragschrauber „Little Nellie“ in YOU ONLY LIVE TWICE, den Bond von Q zerlegt in vier Koffern erhält, mutet wie ein Spielzeug an, verfügt aber über ein ganzes Arsenal tödlicher Waffen: Luft-Luft-Raketen, Maschinengewehre, Fallschirmminen und Flammenwerfer. Hinzu kommen eine Videokamera im Pilotenhelm und Rauchwerfer. Little Nellie basierte auf einem Wallis WA-116 Autogyro, das von Ken H. Wallis, Wing Commander der britischen Luftwaffe, entworfen und – auch im Bond-Film – geflogen wurde.

In MOONRAKER findet sich dasselbe Schema auf das bereits erwähnte Motorboot angewendet. Das Q-Craft, ein Rennboot vom Typ CV-23 HT des Herstellers Glastron, ist erneut mit einem gepanzerten Schild sowie mit Torpedos und Wasserminen ausgerüstet, die mittels zweier Schienen im Heck abgeworfen werden. An die Stelle des Schleudersitzes tritt hier der Hängegleiter. 

Das gemeinsame Prinzip, dem diese Beispiele folgen, lässt sich als eine Synthese aus Fahrzeug und Waffe beschreiben. „Die Unterscheidung zwischen Projektil und Vehikel hat aufgehört zu existieren“, formuliert Paul Virilio mit Blick auf das amerikanische Aufklärungsflugzeug Lockheed SR-71 „Blackbird“. Diese Maschine, in den 1960er Jahren entwickelt und in ihren Flugleistungen bis heute maßgebend, erreichte gut 25 Kilometer Flughöhe und mehr als die dreifache Schallgeschwindigkeit, was der Mündungsgeschwindigkeit einer Gewehrkugel entspricht. „Es handelt sich dabei um ein extremes Beispiel, aber angefangen beim Abflug des ersten Bombers im Ersten Weltkrieg, über die Luftlandetruppe, bis hin zum Start der ersten Stratosphärenrakete bilden das Projektil und das Vehikel ein ‚Mixed‘, das die Kybernetik zu Vollendung bringen wird, indem sie den Menschen (durch die Vollautomatisierung) aus den Waffensystemen evakuiert.“27 Vor dieser Evakuierung verkörpert die bemannte Rakete, technologische Ikone der späten 1960er Jahre, die Nähe von Verkehrsmittel und Geschoss wohl sinnfälliger als jedes andere Vehikel. Diese funktionale wie morphologische Nähe findet sich auch in zahlreichen Entwürfen Adams wieder, wie dem phallischen Vehikel für THE SPY WHO LOVED ME oder den Klingonen-Schiffen für STAR TREK – THE MOTION PICTURE.

  • Supertanker Liparus, Linear Induction Craft

    [Supertanker, Linear Induction Craft Conversion to Nuclear Missile Carrier], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F16059_177
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Supertanker Liparus, Linear Induction Craft
  • Klingon Ship

    [Klingon Ship], STAR TREK – THE MOTION PICTURE (US 1979, Regie: Robert Wise)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F19823_211
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Klingon Ship
  • B52 Bomber & Nuclear Bombs

    [Bomb Dropping Sequence], DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (GB, US 1964, Regie: Stanley Kubrick)
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F24181_046
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    B52 Bomber & Nuclear Bombs
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So zukunftsweisend sich diese Formen geben, so tief sind sie von historischen Vorbildern aus den fiktiven Welten von Literatur und Film geprägt. Buchstäblich einschlägig ist das als Projektil gestaltete Raumfahrzeug, mit dem eine Gruppe von Wissenschaftlern in Georges Méliès‘ frühem Science-Fiction-Film LE VOYAGE DANS LA LUNE (Die Reise zum Mond, FR 1902) aus dem Lauf einer überdimensionalen Kanone abgeschossen wird. Das Ziel der Reise bzw. des Schusses ist der Mond, im Film vorübergehend von einem menschlichen Gesicht verkörpert, das durch den Einschlag des Flugobjekts – nicht zufällig im Auge – auf schmerzhafte Weise verletzt wird.

In den literarischen Vorlagen, „Von der Erde zum Mond“ (1865) und „Reise um den Mond“ (1870) von Jules Vernes, erfolgt die lunare Expedition auf Betreiben des Kanonenklubs von Baltimore, der nach dem Ende der Sezessionskriege neue Herausforderungen sucht und die Betätigungsfelder der Artillerie kurzerhand auf den zivilen Sektor überträgt. Die Idee, Geschütze als Transport- und Nachrichtentechniken zu benutzen, steht in einer Tradition, die spätestens im 18. Jahrhundert populäre Formen annimmt: Von Baron Münchhausens berühmtem Ritt auf Kanonenkugeln zum Zweck der militärischen Luftaufklärung über Heinrich von Kleists „Entwurf einer Bombenpost“ (1810) bis hin zu den Invasionsschiffen der Marsianer in H. G. Wells‘ „Krieg der Welten“ (1898) und der gigantischen Raum-Kanone in THINGS TO COME – lange schon übt die Verschaltung von Waffen, Vehikeln und Kommunikationsmitteln eine besondere Anziehungskraft auf die technische Imagination aus. Der Erstflug der Lockheed SR-71 Blackbird fand kurz vor Weihnachten 1964 statt. DR. STRANGELOVE war im Januar desselben Jahres in die Kinos gekommen. Während sich Kampfflugzeuge endlich anschickten, Explosivgeschossen einfach davonzufliegen, zog Stanley Kubricks Film mit den absurden Geschicken der fliegenden Festung B-52 und ihrer hilflosen Besatzung, kulminierend im grotesken Ritt des Flugzeugführers auf der Bombe, bereits ein historisches Fazit.

Gadgets

Bei diesem letzten todbringenden Vehikel, das in dem Film zu sehen ist, handelt es sich übrigens um ein „Gadget“ – so soll der Codename der ersten Atombombe gelautet haben.  Nachdem Peter Sellers den Part des Major Kong nicht übernehmen konnte, engagierte man Slim Pickens, einen Western-Schauspieler und ehemaligen Rodeo-Profi für die Rolle. Dass die moderne Mischung zwischen Münchhausen und apokalyptischem Reiter ausgerechnet mit Cowboy-Appeal versehen wurde, ist in jeder Hinsicht treffend. In einem Essay mit dem Titel „The Great Gizmo“ aus dem Jahr 1965 beschreibt der britische Architektur-Theoretiker Reyner Banham die Rationalität des Gadgets – von Buffalo Bills Kopfbedeckung bis zum batteriebetriebenen Rasierer – als eine typisch amerikanische Ermächtigungsgeste:

“The man who changed the face of America had a gizmo, a gadget, a gimmick – in his hand, in his back packet, across the saddle, on his hip, in the trailer, round his neck, on his head, deep in a hardened silo. From the Franklin Stove, and the Stetson Hat, through the Evinrude outboard to the walkie-talkie, the spray can and the cordless shaver, the most typical American way of improving the human situation has been by means of crafty and usually compact little packages, either papered with patent numbers, or bearing their inventor's name to a grateful posterity.”28

Gadgets sind zunächst körpernahe und transportable, unmittelbar zuhandene Gegenstände, die die Bewegung und das (Über-)Leben in unwirtlichen bzw. zumindest unkomfortablen Umgebungen ermöglichen. In Banhams Schilderung erlauben Gadgets das Vordringen in unerschlossene Gebiete, es sind Instrumente der Zivilisierung der Wildnis, der Domestizierung, Techniken der Eroberung und Beherrschung selbst noch in ihrer unscheinbarsten Form. Der Stetson-Hut aus Filz ist zum Beispiel aus dem Prinzip des Zelts hervorgegangen und verweist in Banhams Aufzählung bereits auf unzerstörbare Raketensilos. Gadgets vereinen die Schutzfunktion der Architektur mit dem mobilen Charakter des Vehikels und den offensiven Eigenschaften der Waffe.

Dieser technologische Überschuss geht mit einer auffälligen epistemologischen und semantischen Unterbestimmtheit einher: Wie „gimmick“ und „gizmo“ ist auch das Wort „gadget“ Stellvertreter für die eigentliche Bezeichnung eines Objekts, dessen eigentliche Bezeichnung unverfügbar ist bzw. gar nicht existiert – eine Paradoxie, die Ausdrücke wie „whatsit“ oder „wieheißtes“ auf den Begriff bringen. Die Etymologie von „gadget“ ist nicht eindeutig geklärt,29 neben dem französischen Ausdruck „gâchette“ für Teile eines (Waffen-)Schlosses verweist eine wesentliche Herkunftslinie, wie sollte es anders sein, auf die Seemannssprache. Einer der frühesten Belege findet sich in einem Buch von 1886: „Then the names of all the other things on board a ship! I don’t know half of them yet; even the sailors forget at times, and if the exact name of anything they want happens to slip from their memory, they call it a chicken-fixing, or a gadjet, or a gill-guy, or a timmey-noggy, or a wim-wom — just pro tem., you know.“30

In den James-Bond-Filmen basieren viele der handlicheren Gadgets ebenso wie die Spezialfahrzeuge auf dem Prinzip der Verwandlung, die sich regelmäßig als Freisetzung einer unerwarteten, meist versteckten Funktion oder Wirkung eines Gegenstands vollzieht. Bezogen auf die Funktion lassen sich mehrere Typen von Gadgets unterscheiden. Ubiquitär und für das Spionage-Genre typisch sind zunächst Alltagsgegenstände, die sich unvermittelt in Waffen verwandeln: Eine Armbanduhr wird zur Garotte oder zum Sprengsatz, Zigaretten und Gipsbeine verschießen (Mini-)Raketen, Armbänder und Terminkalender giftige Pfeile. Ein Skistock wird zum Gewehr, ein Schuh zum Messer, ein Kugelschreiber zur Giftspritze. Lippenstifte und Zahnpasta explodieren, eine Parkuhr verströmt Nervengas, ein Speisetablett wird zur Guillotine, ein Bowler-Hut zur Wurfaxt, ein Parfümflakon zum Flammenwerfer.

Neben den Waffen im engeren Sinn gibt es zahlreiche Geräte, die zur Ortung und Überwachung dienen: In GOLDFINGER versteckt Bond einen Mini-Peilsender, den er einem Rasierapparat entnimmt, im hohlen Absatz seines Schuhs; ein größeres Exemplar steht ihm für die Verfolgung mit seinem Aston Martin zur Verfügung. Eine weitere Kategorie von Gadgets dient der Aufzeichnung, Kommunikation und Verschlüsselung von Nachrichten bzw. Informationen: In DR. NO ist der Außenposten des MI6 auf Jamaika mit einer leistungsfähigen, in einer Schrankwand versteckten Funkausrüstung versehen, die die Verbindung mit der Funkzentrale des MI6-Hauptquartiers in London gestattet. Ein ungewöhnliches nachrichtentechnisches Gadget ist der sich selbst zerstörende Umschlag, in dem Bond seine Auftragsunterlagen am Flughafen erhalten soll. Besonders avanciert für seine Zeit ist das Videotelefon-System, das in der Rückbank von Akis Toyota GT 2000 in YOU ONLY LIVE TWICE verbaut ist. In THE SPY WHO LOVED ME gibt es einen als Spieluhr getarnten Pager, und Bonds Armbanduhr verfügt über eine Art Fax-Funktion, die zum Schmunzeln verleitet: Der Streifen, den er herauszieht, ist offensichtlich ein handelsübliches Prägeband. Für das Spionage-Genre wiederum typisch sind das in einem Wörterbuch versteckte Tonbandgerät und die Minikamera – mit 007-Objektiv – in THUNDERBALL und MOONRAKER.

Weitere Klassen von Gadgets dienen der Bewegung auf feindlichem Terrain bzw. der Überwindung von Hindernissen: Hierzu gehören die Seilpistolen aus der Anfangssequenz von  GOLDFINGER und aus DIAMONDS ARE FOREVER, der Rebreather in THUNDERBALL, der Bond das Tauchen ohne Sauerstoffflasche ermöglicht, und die speziellen Ninja-Saugnäpfe für Hände und Knie, die das Klettern an Wänden und Decken in YOU ONLY LIVE TWICE erlauben. Besonderen Humor beweist das Production Design in der Eröffnungssequenz von GOLDFINGER, in der Bond als schwimmende Möwe getarnt in einem Hafenbecken auftaucht, einen ausgestopften Vogel auf der Kopfhaube seines Taucheranzugs tragend.

  • MI6 Headquarters, Radio Security Control

    [Dr. No's Complex, Detector Table], DR.NO (GB, US 1962, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F20940_013
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    MI6 Headquarters, Radio Security Control
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Fallen

Obwohl die meisten Gadgets mehr oder weniger handlicher, auf jeden Fall aber mobiler Natur sind, warten Adams Sets auch mit einer Reihe von Spezialvorrichtungen auf, die sich nicht an Körpern oder Fahrzeugen befinden, sondern fest installiert sind, meistens in den Architekturen der Bösewichte.31 Dabei handelt es sich zum einen um versteckte Überwachungsgeräte, wie die von einer Burroughs-Tastatur gesteuerte Kamera oder der mit Röntgenscreens versehene Schreibtisch Osatos in YOU ONLY LIVE TWICE. Ein zweiter Typ von Vorrichtung, der zwischen Gadget, Architektur und tödlicher Waffe vermittelt, ist die Falle: In THUNDERBALL lässt Blofeld einen in Ungnade gefallenen Mitarbeiter während eines Spectre-Briefings durch einen unerwarteten Stromschlag in seinem Sessel exekutieren, ebenfalls auf Knopfdruck verschwindet der Sessel mit der Leiche in der Versenkung, um dann leer wieder aufzutauchen. In YOU ONLY LIVE TWICE gelangt Bond unfreiwillig durch eine Falltür mit verbundener Tunnelrutsche in Tanakas Büro. Im selben Film eliminiert Blofeld die Sekretärin Osatos, indem er sie mit Hilfe einer klappbaren Brücke, die er per Fußschalter betätigt, in sein Piranhabecken befördert. Ähnliche Mechanismen finden sich immer wieder in den Bond-Filmen: In DIAMONDS ARE FOREVER kommt ein Behälter mit heißem Schlamm zum Einsatz, in THUNDERBALL und THE SPY WHO LOVED ME sind es Haifischbecken, in MOONRAKER gar ein Pool mit einer riesigen Schlange. Daneben gibt es Fahrstühle, die zu Fallen werden, indem der Boden wegklappt oder die Decke Gas verströmt wie in DIAMONDS ARE FOREVER. Eine tödliche Architektur ist auch das Krematorium, in dem Bond bei lebendigem Leibe verbrannt werden soll.

Der Inbegriff einer mit Gadgets angereicherten – und schließlich tödlichen – Architektur ist indessen der zu Goldfingers Gestüt gehörige „Rumpus Room“ (übersetzt etwa: Hobby-Raum, Spielzimmer), in dem der Bösewicht einer Gruppe von Gangsterbossen seinen Plan eröffnet. Auf die Betätigung eines verborgenen Schalters verwandelt sich zunächst der Billardtisch mit ausladenden Kipp- und Drehbewegungen in ein riesiges Kontrollpanel, mit dem Goldfinger nach und nach den gesamten Raum in Bewegung versetzt. Fensterverdunkelungen fahren herunter, an einer Seite des Raums klappt der Boden hoch, um den Blick auf eine riesige Luftaufnahme der Umgebung von Fort Knox freizugeben. Goldfinger macht sich an weiteren Knöpfen und Schaltern zu schaffen, die Bar schwenkt zur Seite, und ein entsprechend großes Modell der Anlage fährt aus dem Boden. Nachdem sich Goldfinger unter einem Vorwand entfernt hat, wird der Raum mit den ahnungslosen Gangstern luftdicht versiegelt, wobei sich eine Edelstahl-Haube um den Kamin herabsenkt, nun von einem unterhalb gelegenen Kontrollraum aus gesteuert. Behälter mit „Delta Neun“-Nervengas fahren aus einem der Tische hervor und versprühen ihren tödlichen Inhalt. In seiner Beweglichkeit und Verwandlungsfähigkeit ähnelt der Rumpus Room den hochgerüsteten Bond-Fahrzeugen und erweist sich als performative Architektur par excellence.

  • SPECTRE Headquarters, Boardroom

    [SPECTRE Headquarters], THUNDERBALL (GB, US 1965, Regie: Terence Young)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F14272_024
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    SPECTRE Headquarters, Boardroom
  • Blofeld's Volcano Lair, Office

    [Volcano, Office], YOU ONLY LIVE TWICE (US, GB 1967, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F33917_010
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Blofeld's Volcano Lair, Office
  • Blofeld's Villa, Mud Cavern

    [Ernst Stravo Blofeld's Villa, Mud Cavern], DIAMONDS ARE FOREVER (GB, US 1971, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F26669_083
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Blofeld's Villa, Mud Cavern
  • Atlantis, Shark Pool

    [Atlantis, Shark Pool], THE SPY WHO LOVED ME (GB, US 1977, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F16059_146
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Atlantis, Shark Pool
  • Slumber Inc. Crematory, Chapel

    [Funeral Parlor, Chapel], DIAMONDS ARE FOREVER (GB, US 1971, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F26669_098
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Slumber Inc. Crematory, Chapel
  • Auric Stud Farm, Rumpus Room

    [Stud Farm, Rumpus Room], GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F20003_033
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Auric Stud Farm, Rumpus Room
6 Abbildungen

Der Q-Komplex: Apparat und Spiel

Das Wesen des Gadgets schließt immer auch eine spielerische Komponente ein. Entsprechend führt die auffällige Dominanz von Gadgets in den James-Bond-Filmen, aber auch bereits in THE CRIMSON PIRATE und in CHITTY CHITTY BANG BANG, auf das Thema des Spiels. In vielen der von Ken Adam betreuten Filme ist das Spiel auf der Ebene der Handlung wie auf der Ebene der Ausstattung zentral: In SLEUTH und in THE LAST OF SHEILA wird buchstäblich um Leben und Tod gespielt, zugleich finden sich überall Gesellschaftsspiele und Spielzeuge, Automaten und Puppen im Bild.

Auch im Universum von James Bond ist das Thema des Spiels von Anfang an wesentlich. Seit Flemings erstem Roman, „Casino Royale“ (1953), bestimmt das Spiel die Handlungsvollzüge des Doppelnull-Agenten auf allen Ebenen, und entsprechend beginnt der erste Bond-Film, DR. NO, mit einer Spielszene. Im Umgang mit den Vorgesetzten, im Kampf gegen Oberschurken und ihre Handlanger, im Geplänkel mit den Frauen – Bond ist Spieler durch und durch. Sein Playboytum ist immer wieder im psychoanalytischen Sinn gedeutet worden: Bond kann nicht erwachsen werden, befindet sich in immerwährender Adoleszenz, seine Infantilität ist Ausdruck einer Kastrationsangst, die sich auch im Umgang mit Autos, Waffen und Gadgets spiegelt.32 Obwohl diese Deutungen sicher zutreffen, soll ihnen im Folgenden eine andere Interpretation an die Seite gestellt werden.

Im Kontext der Gadgets begegnet die vermeintlich infantile Disposition Bonds als ständige Verhandlung über den Spielzeugcharakter seiner Ausrüstung. Die Zuständigkeit liegt hier bekanntlich bei „Q“, dem Quartiermeister (Quartermaster), und der verbale Schlagabtausch zwischen 007 und Q gehört zum festen Repertoire der Filme. In der obligatorischen Q-Szene präsentiert der Quartermaster Bond mit kaum verhohlenem Stolz die ausgeklügelten Geheimwaffen für den bevorstehenden Einsatz, verbunden mit der notorischen – und regelmäßig erfolglosen – Ermahnung, dass der Agent die ihm anvertraute Ausrüstung diesmal heil zurückbringen möge. Qs Bemühungen um eine sachliche Erklärung und Einweisung werden von Bond regelmäßig mit Geringschätzung quittiert: Er ist ungeduldig, unaufmerksam, fummelt an den Gadgets in Qs Labor herum und ironisiert die Bemühungen seines Gegenübers. Ein stehender Topos ist die Bemerkung, dass Qs Apparate hübsche Weihnachtsgeschenke abgeben würden.

Das Paradigma der Q-Szene ist die Einweisung Bonds in den Aston Martin DB5 in GOLDFINGER. Qs Vorführung der zahlreichen Modifikationen des Wagens gipfelt in der Enthüllung des im Schaltknauf versteckten Knopfs für die Betätigung des Schleudersitzes: „Q: Now this one I’m particularly keen about. You see the gear lever here? Now, if you take the top off, you will find a little red button. Whatever you do, don’t touch it. Bond: Yeah, why not? Q: Because you’ll release this section of the roof, and engage and then fire the passenger ejector seat. Bond: Ejector seat? You’re joking! Q: I never joke about my work, 007.“ Die Unterscheidung zwischen Spaß und Ernst, die dieser klassische Dialog aufruft, ist konstitutiv für die filmische Exposition der Gadgets und die unterschiedlichen Positionen Bonds und Qs. Erhellend ist eine korrespondierende Q-Szene, die nicht aus einem von Adam ausgestatteten Bond-Film stammt, aber direkt an diesen Dialog anschließt. In DIE ANOTHER DAY (GB, US 2002, Regie: Lee Tamahori) übergibt Q Bond den neusten Aston Martin Vanquish zusammen mit dem umfangreichen Handbuch: „Why don't you acquaint yourself with the manual? You should be able to shoot through that in a couple of hours.“ Bond wirft das Handbuch kurzerhand in die Luft, wo es von den automatisch gesteuerten Bordwaffen des Wagens erfasst und in Fetzen geschossen wird: „Just took a few seconds, Q.“ Warum provoziert Bond Q auf diese respektlose Weise, obwohl ihm dessen Equipment regelmäßig den Hals rettet? Warum ignoriert er Qs Instruktionen und lehnt es ab, sich mit Gebrauchsanweisungen zu befassen, während er doch weiß, dass sein Leben davon abhängen wird?

Die Antwort auf diese Fragen lässt sich in Form einer These fassen: Entgegen Qs Auffassung lassen Gadgets strukturell keinen ‚ernsten‘ Umgang zu, der Spielzeugcharakter ist ihnen vielmehr wesentlich. Folglich ergibt sich ihre ‚korrekte‘ Handhabung nicht aus einer theoretischen Auseinandersetzung, sondern aus der spontanen, praktischen Interaktion.33 Zur Erläuterung dieser Annahme erscheint es sinnvoll, den Begriff des Gadgets auf eine allgemeine Theorie des Apparats zu beziehen, wie sie der Medienphilosoph Vilém Flusser ausgehend vom Fotoapparat entwickelt hat.34 In der Tradition der Technikphilosophie des 19. Jahrhunderts unterscheidet Flusser zunächst zwischen Werkzeug und Maschine: Das Werkzeug bildet eine Verlängerung des menschlichen Körpers, es verstärkt oder substituiert Organe wie Hände, Füße oder Augen. Die Maschine ist nicht in dieser Weise ‚empirisch‘, sondern ‚technisch‘, Resultat einer theoriegeleiteten Herstellung, und sie funktioniert selbständig. Von Werkzeug und Maschine, den Medien des Handwerks und der Arbeit, unterscheidet Flusser schließlich den ‚Apparat‘. Die Beziehung zwischen Mensch und Apparat ist nicht instrumenteller Natur, beide verschmelzen vielmehr zu einer Einheit: Der Apparat ist weder Maschine noch Werkzeug, sondern – Spielzeug. Entsprechend ist der Mensch für Flusser im Umgang mit dem Apparat nicht länger Hersteller bzw. Arbeiter, ‚homo faber‘, sondern Spieler, ‚homo ludens‘.

Flussers Analyse, damit schließt sich der Kreis, basiert auf einer genuin kybernetischen Faszination für das Spiel. Theoretiker wie Norbert Wiener, John von Neumann, Ross Ashby oder Heinz von Foerster haben das Spiel in unterschiedlicher Weise als allgemeine Epistemologie und Praxis im Umgang mit komplexen Problemen oder Gegenständen, seien dies Menschen, Institutionen oder technische Apparate, verstanden. Im Unterschied zum klassischen instrumentellen und kontrollierten Handeln lässt das Spiel Freiräume, die gegebenenfalls überlegene Problemlösungen gestatten. Nimmt man diese Position ein, unterliegt Q demselben Irrtum wie Bonds große Gegner: Er glaubt, dass sich die Welt unter Kontrolle bringen lässt. Bond weiß es besser, er setzt auf die Paradoxie des kalkulierten Kontrollverlusts: Im entscheidenden Moment verschmilzt 007 mit seinen Fahrzeugen, Waffen und Gadgets, wandelt seine Gestalt, und aus dem Amalgam von Agent und Gadget wird eine komplexe Agentur, die ihr zerstörerisches Programm freisetzt. Bonds Überlegenheit verdankt sich nicht dem Studium der Gebrauchsanleitung, sondern der Fähigkeit, sich im entscheidenden Moment an den Apparat zu koppeln und aus dieser Transformation Möglichkeiten zu entbinden, die für seine Gegner zur tödlichen Überraschung werden. Deshalb sind seine Siege zur ewigen Wiederholung bestimmt. Von THE CRIMSON PIRATE bis zu „Golden Eye: Rogue Agent“ – Adams Filmwelten sind dem Traum des kybernetischen Helden gewidmet, dem unendlichen Apparat.

  • 1 Vgl. dazu Christopher Frayling: The Theatre of the Real. In: Moonraker, Strangelove and other celluloid dreams: the visionary art of Ken Adam, hg. v. David Sylvester. Ausstellungskatalog. London 1999, S. 42-54, hier S. 48ff.
  • 2 Vgl. zu dieser Konstellation Georg Seeßlen: „Der einzige, der in den James-Bond-Filmen nie einen eigenen Raum hat, ist James Bond selbst; er ist der raumlose Held schlechthin, stets bereit, in fremde Räume einzudringen, aus ihnen zu flüchten, sie zu zerstören.“ (Georg Seeßlen: War Rooms, Casinos & Gadgets. Die mythischen Konstruktionen der Bauten Ken Adams. In: Production Design: Ken Adam. Meisterwerke der Filmarchitektur. Ausstellungskatalog. Geiselgasteig 1997, S. 14-32, hier S. 20.)
  • 3 Zum biografischen Hintergrund der Kriegserfahrungen Adams vgl. Alexander Smoltczyk: James Bond, Berlin, Hollywood. Die Welten des Ken Adam. Berlin 2002, S. 53-67; Christopher Frayling: Ken Adam. The Art of Production Design. London 2005, S. 23-40.
  • 4 Vgl. dazu Paul Virilio: Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung. Frankfurt/M. 1989; ders.: Krieg und Fernsehen. München/Wien 1993. Grundlegend zur Transformation visueller Regime durch die Luftfahrt: Christoph Asendorf: Super Constellation. Flugzeug und Raumrevolution. Wien/New York 1997.
  • 5 Paul Virilio: Ästhetik des Verschwindens. Berlin 1986, S. 65. Auch die berühmte ‚Gunbarrel‘-Sequenz am Anfang der James-Bond-Filme erhält hier ihren Sinn: „Auf die Projektion der Wurf- und Schußwaffen, die Ballistik der Vergangenheit, ist die des Lichts gefolgt, die des elektronischen Auges der ferngesteuerten Flugkörper und der Videorakete […]. Tatsächlich hat man, seit dem Lauf der Feuerwaffen Kimme und Korn aufgesetzt wurden, den Gebrauch des Lichts und des Projektils gekoppelt – des Lichts, das die Seele der Kanone ist. […] Die Visierlinie wurde, weil damit bessere Ergebnisse zu erzielen waren, ins Innere des Feuerrohrs verlegt.“ (Paul Virilio: Krieg und Kino, a. a. O., S. 180f.)
  • 6 Im Film lautet der Eigenname dieser Maschine bezeichnenderweise „Leper Colony“, die fatale Flotte besteht aus fiktiven „B-90 Sting Ray“ Bombern.
  • 7 In seiner „Archäologie“ der deutschen Betonbunkeranlagen des Atlantikwalls vergleicht Virilio den Bunker mit der Arche und der Krypta: „Die Funktion dieses so außergewöhnlichen Bauwerks besteht darin, das Überleben zu gewährleisten, ein Schutzraum für den Menschen in einer kritischen Periode zu sein, der Ort, an dem er sich verkriecht, um weiterzuexistieren. Wenn er also der Krypta ähnlich ist, die die Wiederauferstehung präfiguriert, dann ähnelt der Bunker ebensosehr der rettenden Arche, dem Vehikel, das einen durch die Durchquerung tödlicher Risiken aus der Gefahrenzone bringt.“ (Paul Virilio: Bunkerarchäologie. Wien 2011, S. 79; vgl. ebd., S. 19f., 25, 27.)
  • 8 Vgl. zum mediengeschichtlichen Hintergrund erneut Virilio: „Um 1930 gaben […] einige Staaten, wie Großbritannien, die konventionellen Verteidigungsmittel auf, um sich der Erforschung und Entwicklung der Wahrnehmung zu widmen: das waren die Anfänge der Kybernetik, des Radar; Goniometrie, Mikrophotographie, Rundfunk und Fernmeldetechnik machten große Fortschritte. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Befehlsbunker und Kriegskabinette nicht mehr unbedingt in der Nähe der Schlachtfelder untergebracht, sondern in den Hauptstädten. ‚Befehlsopern‘ wurden die riesigen Theaterräume zutreffend genannt – der Krieg wurde selbst zur Space Opera [kursiv im Original].“ (Paul Virilio: Krieg und Kino, a. a. O., S. 91.) Siehe dazu auch Virilio: Bunkerarchäologie, a. a. O., S. 56.
  • 9 Zur architekturhistorischen Einordnung der Durchdringung natürlicher und künstlicher Raumelemente bei Ken Adam vgl. Petra Kissling-Koch: Macht(t)räume. Der Production Designer Ken Adam und die James-Bond-Filme. Berlin 2012, S. 95ff.
  • 10 Virilio weist darauf hin, dass es sich beim Bunker im Wesentlichen um eine ballistische Architektur handelt: „Das Ziel des Monoliths ist es nicht, den Jahrhunderten zu widerstehen, die Dicke seiner Wände deutet lediglich auf die zu erwartende Gewalt des Einschlags im Augenblick des Angriffs hin.“ So kommt es zu einer Hybridisierung zwischen Festungsarchitekturen und Waffentechnologien: „Die ‚Überlebensmaschine‘ aus Stahlbeton, durch ihre Undurchlässigkeit einem Unterseebot ähnlich, durch ihre Masse und Artillerie dem Panzerfahrzeug, von fliegenden Festungen überflogen, wird zahlreiche Elemente und Zubehörteile allen möglichen Apparaten entlehnen. Hydrodynamik, Aerodynamik, diese gegenseitige Durchdringung bis dahin vollständig unterschiedlicher Elemente wird eine letzte Vermischung des Lebendigen mit dem Unbelebten verwirklichen […].“ (Paul Virilio: Bunkerarchäologie, a. a. O., S. 65 und 70.)
  • 11 Zu Einzelheiten vgl. Andreas Rost (Hg.): Ken Adam, David Bordwell, Peter Greenaway, Jack Lang. Der schöne Schein der Künstlichkeit. Frankfurt/M. 1995, S. 35ff.
  • 12 Zu den Hintergründen vgl. Ken Adams Darstellung in Andreas Rost (Hg.): Ken Adam, David Bordwell, Peter Greenaway, Jack Lang. Der schöne Schein der Künstlichkeit, a. a. O., S. 38ff.
  • 13 Vgl. Markus Krajewski: Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900. Frankfurt/M. 2006.
  • 14 Ebd., S. 31f.
  • 15 Ebd., S. 32.
  • 16 Vgl. Christoph Asendorf: Super Constellation, a. a. O., S. 34ff.
  • 17 Ebd., S. 236.
  • 18 Vgl. dazu Paul Virilio: Bunkerarchäologie, a. a. O., S. 61-83.
  • 19 Alexander Smoltczyk: James Bond, Berlin, Hollywood. Die Welten des Ken Adam, a. a. O., S. 159.
  • 20 Ebd., S. 160.
  • 21 Vgl. Georg Seeßlen: War Rooms, Casinos & Gadgets. Die mythischen Konstruktionen der Bauten Ken Adams, a. a. O., S. 17ff.
  • 22 Alexander Smoltczyk: James Bond, Berlin, Hollywood. Die Welten des Ken Adam, a. a. O., S. 154-157.
  • 23 Anfang der 1950er Jahre hatte Alfa Romeo einen Rennwagen konstruiert, der diesen Namen wegen seiner außergewöhnlichen, stromlinienförmigen Karosserie erhielt.
  • 24 Ebenso wie Ken Adam und seine Mitarbeiter. Der Michael Althen zugeschriebene Vergleich ist auch in dieser Hinsicht durchaus zutreffend: „Was Q für James Bond war, ist Ken Adam für die James-Bond-Filme.“ (Andreas Rost (Hg.): Ken Adam, David Bordwell, Peter Greenaway, Jack Lang. Der schöne Schein der Künstlichkeit, a. a. O., S. 44.)
  • 25 Ken Adam im Interview mit Norman Kietzmann, Dezember 2008, online unter http://www.designlines.de/interviews/Ken-Adam_10301591.html (10.03.2016).
  • 26 Vgl. dazu Matthias Bickenbach/Michael Stolzke: Die Geschwindigkeitsfabrik. Eine fragmentarische Kulturgeschichte des Autounfalls. Berlin 2014, S. 88f.
  • 27 Paul Virilio: Bunkerarchäologie, a. a. O., S. 32f.
  • 28 Reyner Banham: The Great Gizmo. In: Ders.: Design by Choice, hg. v. Penny Sparke. London 1981, S. 108-114, hier S. 108.
  • 29 Vgl. den Eintrag „gadget“ im Oxford English Dictionary (OED), online unter http://www.oed.com/view/Entry/75962 (10.03.2016).
  • 30 Robert Brown: Spunyarn and Spindrift: A sailor boy‘s log of a voyage out and home in a China tea-clipper. With twenty-four illustrations by Robert T. Pritchett; engraved by Jenkin. London 1886, S. 378; zitiert nach dem Artikel „gadget“ des Oxford English Dictionary, a. a. O.
  • 31 Was diese Architekturen selbst wiederum zu beweglichen Arrangements werden lässt, vgl. Petra Kissling-Koch: Macht(t)räume. Der Production Designer Ken Adam und die James-Bond-Filme, a. a. O., S. 137ff.
  • 32 Vgl. zu einer solchen Interpretation im medientheoretischen Horizont Harun Maye/Bernhard Siegert: Technische Medien im Dienst ihrer Majestät. James Bond und die Q-Agentur. In: Archiv für Mediengeschichte 8 (2008): Agenten und Agenturen, S. 83-92.
  • 33 Andernfalls müsste man sich Bond als einen fleißigen Leser von Bedienungsanleitungen und als Betatester bzw. Versuchskaninchen der Q-Abteilung vorstellen; vgl. zu dieser Deutung Markus Krajewski: Spielzeug und Erfinderstolz. James Bond als Betatester. In: Verstärker. Ein Internetjahrbuch für Kulturwissenschaft 7 (2002).
  • 34 Vgl. Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen 1983, S. 18-24.

Verwandte Filme, Projekte und Sets

Filme:
AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS
BATTLE OF THE V-1
BEN-HUR
CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N.
CHITTY CHITTY BANG BANG
THE CRIMSON PIRATE
DIAMONDS ARE FOREVER
DR. NO
DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB
MOONRAKER
ON HER MAJESTY'S SECRET SERVICE
PENNIES FROM HEAVEN
SLEUTH
THE SPY WHO LOVED ME
THUNDERBALL
YOU ONLY LIVE TWICE
THE LAST OF SHEILA
GOLDFINGER
STAR TREK – THE MOTION PICTURE
PETER PAN
Projekte:
GOLDENEYE: ROGUE AGENT
Sets:
Aston Martin DB5
Atlantis
Atlantis, Control Room
Atlantis, Shark Pool
Atlantis, Sitting Room
Auric Enterprises A.G.
Auric Stud Farm, Rumpus Room
B52 Bomber
Ballet School
Bar
Baron Bomburst's Castle, Caves with River
Baron Bomburst's Castle, Dungeon
Blofeld's Volcano Lair
Blofeld's Volcano Lair, Office
Blofeld's Underwater Craft
Captain Hook's Ship
Chitty Car before Transformation
Chitty Flying Car
Chitty Hover Car
Cloak Manor, Salon
Construction Stills
Diamond Satellite
Disco Volante
Drax' Headquarters, Great Chamber
'Drax Enterprise Corporation' Complex, Centrifuge
Drax' Headquarters, Space Shuttle Launch Complex
Dr. No's Complex, Escape Shaft
Dr. No's Complex, Living Room
Drug Laboratory
The 'El' Street/Station
Family Mansion, Entry Hall
Fort Knox
German Army Torture Chamber
Goldfinger's Private Jet
Headquarter Caravan
Hot Air Balloon
Loeffler's Apartment
Lotus Esprit
Lunar Vehicle
Margot's Apartment, Kitchen/Great Room
'Marie Annick' Pirate Vessel
Monorail & Airlock
Nuclear Bombs
Pott's Cottage, Windmill
Q-Craft
Spaceshuttle / Shuttlecraft
Space Station
Space Station, Command Centre and Corridors
SPECTRE Headquarters, Boardroom
Supertanker Liparus, Brig
Supertanker Liparus, Control Room
Supertanker Liparus, Corridor
Supertanker Liparus, Docking Bay
Supertanker Liparus, Suspension Monorail
Tiger Tanaka's Train, Cabin
Toymaker's Shop
Underwater Bomb Carrier
Underwater Vehicle
Underwater Weapon
Unexploded Bomb
USS Enterprise
War Room
Warehouse
Warehouse, Brainbox
Warehouse, Prison Corridor