DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Biografie

Berlin London Hollywood Berlin

von Silke Ronneburg und Peter Mänz

Ken Adam wird als Klaus Hugo Adam am 5. Februar 1921 im Berliner Tiergartenviertel geboren, als drittes von vier Kindern von Fritz und Lilli Adam. Dem ältesten Bruder Peter, geboren am Silvestertag 1913, folgt am 28. Oktober 1919 die Schwester Loni; am 1. Februar 1924 kommt das jüngste der vier Adam-Kinder, Dieter – eigentlich Dietrich –, zur Welt.

Tiergartenviertel und Bellin

Die Familie wohnt mit den Kindern in der Matthäikirchstraße 4. Nach Dieters Geburt 1924 ziehen sie in eine Zehn-Zimmer-Wohnung gleich um die Ecke in die Tiergartenstraße 8. Das dreigeschossige Haus entstand 1895 nach Plänen der Architekten Lachmann und Zauber auf einem zur Tiergartenstraße hin eher schmalen, aber nach hinten lang gestreckten Grundstück. Bis sie 1931 wieder in die Matthäikirchstraße 28 ziehen, bleibt es das Familiendomizil der Adams. Direkt auf der anderen Straßenseite befindet sich der Tiergarten mit dem Neuen See. Vater Fritz Adam reitet mehrmals wöchentlich im Tiergarten aus und auch der tägliche Schulweg der Jungen führt durch den Tiergarten zum Französischen Gymnasium am Reichstagsufer.

Die Sommermonate und Ferienzeiten verbringt die Familie oft auf dem in Bellin am Stettiner Haff gelegenen Landsitz. Das Haus, ein länglicher Ziegelbau mit einer Küche und mehreren Räumen im Untergeschoss sowie zwei weiteren im Obergeschoss, ist einfach ausgestattet und verfügt nicht über fließendes Wasser. Das Grundstück erstreckt sich direkt bis ans Haff. Die Familie unternimmt ausgedehnte Radtouren; im Sommer sind die Jungen, insbesondere Peter und Klaus, mit Booten aus den Beständen der väterlichen Firma S. Adam auf den Gewässern unterwegs. Im Winter laufen sie Schlittschuh. Klaus hat sich dort aus zwei in T-Form genagelten Brettern, drei Schlittschuhen, etwas Draht und einem Segel einen Eissegler gebaut und fährt mit Begeisterung in einer Geschwindigkeit von rund 70 Stundenkilometern über das zugefrorene Haff.

Familie Fritz und Lilli Adam

Grundlage des bürgerlichen Wohlstands der Familie ist das von Klaus Adams Großvater, David Saul Adam, gegründete Modehaus S. Adam. Einst als mittelloser Schneider aus dem polnischen Gostyń eingewandert, gründete er ein Herrengarderobemagazin in der Leipziger Straße 38, aus dem 40 Jahre später das renommierte Kaufhaus S. Adam an der Leipziger Straße 27/28 Ecke Friedrichstraße geworden ist, seit 1870 königlicher Hoflieferant. Zwischenzeitlich ist eine Schlafrockfabrik hinzugekommen und schließlich die Berliner Gummimäntel-Fabrik GmbH. 1901 überträgt David Saul Adam den beiden ältesten Söhnen die Teilhaberschaft. Als er am 28. September 1905 in seiner Wohnung am Schöneberger Viktoria-Luise-Platz 7 stirbt, führen die vier Söhne das Geschäft gemeinsam weiter. Klaus Adams Vater, der Jüngste und zugleich Geschäftstüchtigste, wird für ein Jahr zur Ausbildung nach London zu Burberrys geschickt.

Auf einem jener opulenten Feste, zu denen Fritz als Mitinhaber der Firma S. Adam gern einlädt, lernt er die 21-jährige Lilli Saalfeld kennen und noch im gleichen Jahr, am 10. November 1912, heiraten die beiden.

Lillis Familie ist mütterlicherseits schon seit dem 18. Jahrhundert in Berlin ansässig. Ihre Großmutter, Henriette Meyerstein geborene Gebert, ist in literarischen Kreisen geschätzt und auch als Namensgeberin für den erfolgreichen Roman „Jettchen Gebert“ des mit ihr befreundeten Autors Georg Hermann (eigentlich Hermann Borchardt) bekannt. Väterlicherseits entstammt Lillis Familie einer alten, angesehenen Stettiner Familie.

  • Klaus' Großvater David Saul Adam
  • Hochzeitsfoto von Klaus' Eltern Fritz und Lilli Adam
  • Henriette Meyerstein

    Inv.Nr.: SDK_4.2_201216_Album17_050
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Henriette Meyerstein
  • Klaus, Loni, Dieter und Fritz vor dem Landsitz der Familie in Bellin am Stettiner Haff

    Das Haus, ein länglicher Ziegelbau mit mehreren Räumen und einer Küche im Untergeschoss, sowie zwei weiteren im Obergeschoss, ohne fließendes Wasser, ist einfach ausgestattet.
    Inv.Nr.: SDK_4.2_201216_Album17_047
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Klaus, Loni, Dieter und Fritz vor dem Landsitz der Familie in Bellin am Stettiner Haff
  • Klaus auf dem Stettiner Haff, Bellin 1929

    Inv.Nr.: SDK_4.2_201216_Album17_048
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Klaus auf dem Stettiner Haff, Bellin 1929
  • Klassenfoto, Französisches Gymnasium, Januar 1934, Klaus Adam: Zweiter v. r., letzte Reihe

    © Schulhistorische Sammlung des Französischen Gymnasiums

    Klassenfoto, Französisches Gymnasium, Januar 1934, Klaus Adam: Zweiter v. r., letzte Reihe
  • Rückseite des Klassenfotos mit Unterschriften aller Schüler, Klaus Adam: 4. Zeile, ganz links

    © Schulhistorische Sammlung des Französischen Gymnasiums

    Rückseite des Klassenfotos mit Unterschriften aller Schüler, Klaus Adam: 4. Zeile, ganz links
7 Abbildungen

Französisches Gymnasium

Ostern 1930 wird der neunjährige Klaus ins Französische Gymnasium aufgenommen, er folgt damit – wie später auch Dieter – seinem älteren Bruder und seinen Urgroßonkeln Joseph und Gottfried Gebert. Die Entscheidung für diese Schule fiel wohlüberlegt. An der 1689 für die französischen Glaubensflüchtlinge als Hugenottencollège gegründeten Schule wird – auch nachdem sie kaum noch von Hugenotten besucht wird – in französischer Sprache unterrichtet. Als 1873 unter Beteiligung des Hugenottenkonsistoriums ein neues Gebäude am Reichstagsufer entsteht, wird dem Gymnasium Französisch als Unterrichtssprache garantiert. Das Collège Français vermittelt die klassische Bildung wie ein humanistisches Realgymnasium, unterstreicht jedoch sein besonderes Profil durch den Unterricht aller Fächer – ausgenommen Mathematik – in einer modernen Fremdsprache. Das findet vor allem Zuspruch beim modernen, aufgeschlossenen Bürgertum. Nach der Jahrhundertwende wird das Collège zu einer Eliteschule, die vor allem Sprösslinge großbürgerlicher Familien sowie der dort zahlreich angesiedelten Botschaftsvertreter nutzen. Es herrscht ein von Weltläufigkeit und Toleranz geprägtes Klima.

Ab Mitte der 1920er Jahre werden vereinzelt auch Mädchen am Französischen Gymnasium aufgenommen; in der Klasse von Klaus gibt es zwei Mädchen. Zu den Lehrern der Adam-Jungen gehören drei sehr geschätzte Pädagogen: Professor Kurt Levinstein, Dr. Ernst Gerstenberg und Klaus’ Klassenlehrer, Dr. Ernst Lindenborn.

An Dr. Ernst Gerstenberg, den ehemaligen Klassenlehrer von Peter, schreibt Vater Fritz am 25. März 1932: „Klaus, jetzt Quartaner, ist anders als Peter. Er ist ein Träumer. Er malt, musiziert, versucht zu dichten und verschlingt mehrere Bücher auf einmal – ein Bengel, der vorläufig noch schwer zu nehmen ist, während der jüngste, Dieter, dem Peter in seiner ganzen Art sehr ähnelt und hoffentlich im kommenden Jahre in Ihrer Sexta aufgenommen wird.“ Klaus’ Lieblingsfach in der Schule ist Kunst. Seine zeichnerische Begabung fällt bereits auf, als der Neunjährige van Goghs Porträt „Alter provenzalischer Bauer (Patience Escalier)“ kopiert. Doch ausgerechnet sein Großonkel Paul Meyerstein, mit ausgeprägtem Faible für Kunst und Architektur, kritisiert den Jungen und wertet sein Talent ab: Klaus Adams erstes nach der Natur gemalte Bild bezeichnet er als „Haufen von Spinat und Eiern“.1

Emigration 1934

Es ist der damals etwa 20-jährige Peter, der älteste Bruder von Klaus Adam, der als Erster in der Familie die Entwicklung in Deutschland mit Besorgnis wahrnimmt. Als sich die Situation im Sommer 1933 weiter verschärft, geht Peter nach Paris, wo er nach der Ausbildung am Französischen Gymnasium am ehesten eine Chance für sich sieht. Er drängt die Eltern, mit den jüngeren Geschwistern nachzukommen.

Vater Fritz, stolz auf seine militärische Vergangenheit als Leutnant der Kavallerie der Fürstenberger Ulanen, außerdem für seinen Kriegseinsatz 1914 bis 1918 in der belgischen Provinz Namur mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse geehrt, deutet die Zeichen der Zeit anders. Als es im Jahr 1932 zur Liquidation der Firma S. Adam kommt, wagt er trotz des wirtschaftlichen Ruins, der nach der Weltwirtschaftskrise nicht nur die Firma S. Adam ereilt hat, einen Neubeginn. Mit der Sport Adam GmbH will er den Fokus ganz auf Sportbekleidung und -geräte setzen und eröffnet am 20. März 1933 – kurz vor dem Boykottaufruf gegen jüdische Geschäfte – als alleiniger Inhaber in der Leipziger Straße 19 Ecke Mauerstraße das Geschäft Sport Adam. Bereits am 25. November 1933 muss die Sport Adam GmbH Konkurs anmelden.

Peter sieht in Paris keine Perspektive für sich und die Familie. Er wendet sich in London an einen Geschäftsfreund des Vaters und an eine entfernte Verwandte, Mrs. Constance Hoster geborene Kalisch, deren Vater Jettchen (Henriette) Geberts Cousin war. „Tante Connie“ ist bereits als junge Frau ihrem Bruder Alfred Kalisch nach London gefolgt. Hier gründete sie ein College, auf dem junge Mädchen als Sekretärinnen ausgebildet werden. Das College am Grosvenor Place ist Anfang der 1930er Jahre die angesehenste Ausbildungsstätte für junge Frauen in Büroberufen und Constance Hoster ein gesellschaftlich anerkanntes Mitglied in diversen Gremien wie dem Journal Committee of the London Chamber of Commerce, dem German Jewish Aid Committee und der Union of Jewish Women. Mithilfe des Refugees Committee im Woburn House gelingt es ihr, Peter für die nächsten Wochen und Monate zu unterstützen und die Ausreise der Familie nach London vorzubereiten.

Fritz Adam zögert nun nicht mehr, das Land zu verlassen. In Bellin ist er von der Gestapo verhaftet worden und nach drei Tagen nur mithilfe eines ehemaligen Angestellten von S. Adam, inzwischen SS-Angehöriger, wieder freigelassen worden.

Im April 1934 bringt Lilli ihre beiden jüngsten Söhne Klaus und Dieter per Schiff nach Schottland. Dank Tante Connie und des Refugees Committee konnte in der Nähe von Edinburgh eine Schule für die beiden Jungen gefunden werden, die Craigend Park School. Am folgenden Tag kehrt Lilli zu Mann und Tochter nach Berlin zurück. Für Klaus bricht eine Welt zusammen. Sein Bruder und er sind die einzigen Deutschen unter den Kindern und Klaus bekommt dies auf unmissverständliche Art zu spüren.

Lilli und Fritz bereiten die Ausreise vor, verkaufen Wohnungsinventar, darunter auch den einzigen Renoir, für den Neuanfang in London. Fritz, seit nahezu einem Jahr ohne Einkommen, leiht sich außerdem Geld von Verwandten. Sein Gesuch im September 1934 bei der Devisenstelle des Landesfinanzamts Berlin, das Geld für die „Errichtung einer neuen Existenz“ ausführen zu dürfen, wird abgelehnt. Ende September verlassen Lilli und Fritz mit Töchterchen Loni Berlin in Richtung London.

  • Lilli und Dieter bei der Überfahrt per Schiff nach Schottland
  • Contance Hoster, „Tante Connie“, vor ihrem Haus in London
  • Gäste der Pension in Greencroft Gardens 80

    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Gäste der Pension in Greencroft Gardens 80
  • Klaus Adam vor der Pension seiner Mutter in Greencroft Gardens 80, 1936
4 Abbildungen

Pension und Ausbildung

In London wohnen die Eltern mit Loni zunächst in einer kleinen Pension. Im Herbst 1934 werden die Jungen aus Schottland geholt und die Familie ist endlich wieder vereint. Mithilfe des Refugees Committee finden die Adams ein Haus im Londoner Stadtteil Hampstead. In Greencroft Gardens Nr. 80 eröffnet Lilli Adam eine Pension. Das bald schon als #80 bekannte Haus bietet vielen Flüchtlingen eine Unterkunft und wird bis Anfang der 1950er Jahre als Pension geführt.

Fritz Adam ist ein gebrochener Mann. Er versucht sich als Handelsvertreter für tschechische Handschuhe, doch zum Lebensunterhalt der Familie kann er nicht mehr beitragen. Am 17. Januar 1936 stirbt er in London.

Klaus, inzwischen in die renommierte Londoner St Paul’s School aufgenommen, trifft in der Pension seiner Mutter auf ein Universum von Emigranten. Der ungarische Künstler Gábor Pogány nimmt ihn mit in die Studios von London Films, wo er Pogánys Landsleute, die Brüder Vincent, Alexander und Zoltan Korda kennenlernt. Vincent rät ihm zu einem Architekturstudium und Klaus schreibt sich 1938 als Teilzeitstudent an der Bartlett School of Architecture des University College London ein. Er finanziert sein Studium durch die Arbeit bei der Londoner Architekturfirma C. W. Glover & Partners, in der man sein zeichnerisches Talent erkennt und ihn zur Illustration von Publikationen über Luftschutzbunker und Schutzkleidung einsetzt. Diese „kriegswichtige Arbeit“ und eine entsprechende Intervention seines Chefs bewahren ihn schließlich auch vor der Internierung als „enemy alien“.

Zeichnerisch arbeiten kann er auch für den Architekten Raldi Weinreich, ebenfalls ein häufiger Gast in Greencroft Gardens #80. Weinreich ist Mitglied der Modern Architectural Research Group, der MARS Group, in London.

Zweiter Weltkrieg

Kriegsbedingt bricht Klaus Adam sein Studium an der Bartlett School of Architecture ab. Er bewirbt sich bei der Royal Air Force, wird jedoch erst 1941 angenommen – als einziger Deutscher, bis auch sein Bruder Dieter in den Militärdienst eintritt. Aus Klaus wird nun aus Sicherheitsgründen Keith Howard Adams, und von den Kameraden erhält er als Deutscher den Spitznamen „Heinie“. Nach Flugtrainings in Schottland, in den USA und Kanada wird Klaus 1943 zur 609 Schwadron in Kent abkommandiert und fliegt nun eine Hawker Typhoon, das zu dieser Zeit schnellste englische Flugzeug. Die Einsätze im Luftkampf über Belgien und Frankreich überleben viele Piloten seiner Staffel nicht.

Nach Kriegsende ist Klaus Adam in Wunstorf bei Hannover stationiert. Als Officer of Special Charge ist er für die Bildung von Arbeitskompanien aus Kriegsgefangenen zuständig, die beispielsweise zum Flughafenbau herangezogen werden. Mehrfach lässt Klaus Adam kriegsgefangene Offiziere ins befreite KZ Bergen-Belsen bringen, damit sie sich das Lager ansehen.

Im November 1945 gelingt es ihm auf abenteuerliche Weise und trotz Fahrzeugschaden nach Berlin zu kommen. Er sucht nach Verwandten, jedoch ohne Erfolg. Erst später erfährt er, dass fünf Mitglieder der Familie in Konzentrationslagern umgekommen sind; darunter sein Onkel Paul Meyerstein und dessen Frau Käthe.

Anfänge beim Film

Als Überlebender des Zweiten Weltkriegs und Held der Royal Air Force befindet sich der 26-jährige Klaus Adam 1947 in einer Orientierungsphase. Er ist endlich britischer Staatsbürger geworden, hat sich wegen fehlender Aufstiegsperspektiven entschieden, eine Karriere bei der Armee nicht weiterzuverfolgen, bewegt sich in der künstlerischen Boheme Londons und ist auf der Suche nach einer neuen Perspektive für sein Leben.

Seiner Schwester Loni, die in der Londoner US-Botschaft arbeitet, gelingt es, ihren filmbegeisterten Bruder im Herbst 1947 in die Riverside Studios in Hammersmith, Westlondon zu vermitteln, später arbeitet er auch in den Twickenham Studios. Aufgrund seines zeichnerischen Talents und seiner Architekturkenntnisse wird er im Art Department eingesetzt. Einer der ersten Filme, für den Klaus Adam Ausstattungsdetails visualisiert, heißt THE BRASS MONKEY (GB 1948, Regie: Thornton Freeland). Zu THE QUEEN OF SPADES (GB 1949, Regie: Thorold Dickinson) ist in der Sammlung Ken Adam eine 1948 entstandene Zeichnung eines Kircheninterieurs überliefert. Signiert hat Ken Adam dieses Blatt noch mit K. H. (Klaus Hugo) Adam.

Bereits bei Edward Dmytryks Film OBSESSION (GB 1949, Regie: Edward Dmytryk), avanciert Adam zum Assistent Art Director. In dieser Zeit – wohl um das Jahr 1950 – vollzieht sich auch der endgültige Namenswechsel von Klaus zu Ken. Der neue Vorname wird vermutlich bei der Arbeit im Studio kreiert, für die Kollegen vom Art Department ist „Klaus“ ein Zungenbrecher. Der angehende Art Director nimmt den Rufnamen Ken (für: Kenneth) an und beginnt auf seinen Zeichnungen endgültig das Monogramm „K. A.“ zu nutzen. Dieses „K. A.“ (hier noch als „Klaus“) setzt er wohl auch schon Ende der 1930er Jahre auf seinen Auftragsarbeiten für die Architekturfirma C. W. Glover & Partners ein.

  • Ken Adam, ca. 1944

    Inv.nr: SDK_4.2_201216_Album17_022
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ken Adam, ca. 1944
  • Church Interior

    [Panel No. 10 from No. 17, Interior Church], THE QUEEN OF SPADES (GB 1949, Regie: Thorold Dickinson)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F947_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Church Interior
  • Auftragsarbeit für C. W. Glover & Partners

    “Civil defence, individual protection”
    Zeichner: Ken Adam
    Quelle: C. W. Glover: Civil Defence. A practical manual presenting with working drawings the methods required for adequate protection against aerial attack. Chapman & Hall Ltd., London 1938, S. 90/91.

    Auftragsarbeit für C. W. Glover & Partners
  • Ken Adam an Bord des Schiffes „La France“, 1950

    Inv.nr.: SDK_4.2_201216_Album17_058
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ken Adam an Bord des Schiffes „La France“, 1950
  • Bei den Dreharbeiten zu CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N.

    Set Still zu CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N. (GB, US 1950, Regie: Raoul Walsh)
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F13799_004
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Bei den Dreharbeiten zu CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N.
  • Bei den Dreharbeiten zu CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N.

    Personal Still zu CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N. (GB, US 1950, Regie: Raoul Walsh)
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F13799_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Bei den Dreharbeiten zu CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N.
  • 'Lady Wanewar' Galleon

    [General Layout 'Lady Wanewar' with Waist Opening Covered In and Alternative Poop Deck Facia], THE CRIMSON PIRATE (US, GB 1952, Regie: Robert Siodmak)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F18370_002
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    'Lady Wanewar' Galleon
7 Abbildungen

Montpelier Street, ein sicherer Hafen

Der ehemalige Kampfpilot Ken Adam, der zu Beginn seiner militärischen Ausbildung auf einem Handelsschiff namens „Letitia“ den Atlantik überquerte, avanciert um 1950 zu einem Experten für das Genre des Piratenfilms. Die erste US-amerikanische Produktion, an der Ken Adam beteiligt ist, heißt CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER R.N. (GB, US 1950), Regie führt Raoul Walsh, die Hauptrolle spielt Gregory Peck. Adam lässt als Assistant Art Director zwei alte Segler in Schlachtschiffe des 18. Jahrhunderts umbauen und gilt danach als Fachmann für historische nautische Stoffe. Bei seinem nächsten Piratenfilm THE CRIMSON PIRATE (US, GB 1952) unter der Regie von Robert Siodmak werden die Fregatten nach den Vorgaben Adams überarbeitet und er segelt mit ihnen von Marseille nach Ischia, wo der Film mit dem Star Burt Lancaster gedreht werden soll.

Auf Ischia begegnet Ken Adam während der Dreharbeiten Letizia Moauro, seiner späteren Ehefrau. Diese Begegnung ist wie so vieles in der Biografie von Ken Adam eine filmreife Szene: Die Inselbewohner sind am Hafen versammelt, um die Ankunft der historischen Schiffe zu beobachten. Ken Adam erinnert sich: „When I arrived in Ischia I saw this very beautiful girl with long blonde hair and she discovered me too. I chased her about two or three weeks before met.“2

Seitdem – seit fast 65 Jahren – begleitet Letizia ihn durch sein Leben. Die beiden heiraten 1952, Letizia Adam arbeitet in den 1950er Jahren als Kostümassistentin bei Filmproduktionen, als Model für Dior in London und später als Mode- und Handtaschendesignerin. Sie war und ist Adams Beraterin in allen künstlerischen Fragen und ermuntert ihn um 1960 zu seinem neuen dynamischen Zeichenstil, den er mithilfe des 1951 in den USA auf den Markt gekommenen Flo-Master-Stifts kreiert (vgl. Beitrag von B. Hars-Tschachotin). Seit den 1960er Jahren lebt das Ehepaar Adam mit wenigen Unterbrechungen in der Montpelier Street in Zentrallondon, ihrem Lebensmittelpunkt. Ihr Haus, das Ken Adam durch den Einbau von Rundbögen optisch erweitern ließ, wird zu einer künstlerischen Begegnungsstätte der internationalen Filmszene. Mit der Arbeit an DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (GB, US 1964, Regie: Stanley Kubrick) entsteht eine Freundschaft zwischen dem Ehepaar Kubrick und den Adams. Ken Adam und Stanley Kubrick fotografieren sich gegenseitig bei der Arbeit, die Fotos haben sich in der Sammlung Adam erhalten. Seit den Dreharbeiten zu SODOMA E GOMORRA (IT, FR, US 1962, Regie: Sergio Leone) verbindet Letizia Adam auch eine Freundschaft mit der französischen Schauspielerin Anouk Aimée, die sie häufig in der Montpelier Street besucht.

  • Letizia Adam, ca. 1960
  • Ken und Letizia Adam in ihrer Wohnung in der Montpelier Street, ca. 1960

    Inv.nr.: SDK_4.2_201216_Album21_035_003
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ken und Letizia Adam in ihrer Wohnung in der Montpelier Street, ca. 1960
  • Ken Adam während der Arbeit an DR. STRANGELOVE (GB, US 1964, Regie: Stanley Kubrick)

    Inv.nr.: SDK_4.2_201216_F24181_007
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ken Adam während der Arbeit an DR. STRANGELOVE (GB, US 1964, Regie: Stanley Kubrick)
3 Abbildungen

Around the World

Von Ägypten bis Brasilien, von Guatemala bis Marokko, von Japan bis in die USA: In mehr als 20 Ländern hat Ken Adam während seiner langen Filmkarriere gearbeitet und spektakuläre Drehorte gesucht wie gefunden – nicht nur für die James-Bond-Filme. Der ausgebildete Kampfflieger hatte nie Probleme, sich die Welt und mögliche Locations seiner Filme aus der Luft zu erschließen und verfügt über einen unerschöpflichen Anekdotenschatz zu diesem Thema. Die Beobachtungen aus der Vogelperspektive inspirieren ihn auch zu Sets, die auf dem Studiogelände verwirklicht werden müssen. Und es kommt durchaus schon einmal vor, dass das Production Design das Drehbuch und den Film bestimmt. Am eindrücklichsten geschieht dies wohl bei dem in Japan angesiedelten James-Bond-Film YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert), bei dessen literarischer Vorlage dem Autor Ian Fleming anscheinend die Fantasie durchgegangen war: „Wir haben in […] drei Wochen ungefähr zwei Drittel Japans abgeflogen, mithilfe eines Piloten, der nebenbei erzählte, er sei im Krieg Kamikazeflieger gewesen. […] Wir suchten das Land nach Giftgärten und Schlössern im westlichen Stil ab, wie sie in Flemings Buch beschrieben wurden. Die Japaner hatten nie von dergleichen gehört.“3 Schließlich entdeckt das Team um Ken Adam und den Produzenten Albert R. Broccoli die erloschenen Vulkane auf der Insel Kyūshū, die zu einem der größten und teuersten auf einem Studiogelände errichteten Sets der Filmgeschichte führen: der in einem riesigen Vulkan versteckte Weltraumbahnhof des Schurken Blofeld, inklusive Hubschrauberlandeplatz und Raketenabschussbasis.

Bei der weltweiten Suche nach den Settings ergänzen sich mit Sicherheit Arbeit und Vergnügen, die filmischen Privataufnahmen des Ehepaars Ken und Letizia Adam – zumeist Super-8-Aufnahmen – zeigen auch ein Paar, das seit den 1960er Jahren zum internationalen Jetset gehört. Auf den Super-8-Filmen ist aber auch immer wieder die Auseinandersetzung mit Orten dokumentiert, die dann später aufwendig im Studio realisiert werden. Für PENNIES FROM HEAVEN (US 1981, Regie: Herbert Ross) etwa filmt Ken Adam ausgiebig die Straßenschluchten Chicagos, die Wassertanks auf den Häusern, die Hochbahn und sogenannte „Elevated Railway“, die ihn dann zu seinem „El Street“-Set animieren.

Von 1979 bis 1983 – also auch zur Zeit der Arbeit an PENNIES FROM HEAVEN – wohnen Ken und Letizia Adam in Kalifornien, sie mieten sich in Malibu ein und Ken Adam lässt seinen Rolls-Royce in die USA überführen. Er arbeitet in den 1980er Jahren unter anderem für die 20th Century Fox an einem „Special Project“, einem flexiblen Breitwandkino für Vorführungen im IMAX-Verfahren, das allerdings nicht verwirklicht wird. Von 1990 bis 1994 kehrt das Ehepaar Adam nach Kalifornien zurück, Ken Adam gestaltet in dieser Zeit neben anderem das Production Design zu ADDAMS FAMILY VALUES (US 1993, Regie: Barry Sonnenfeld), für den er eine Oscarnominierung erhält. Wieder wohnt das Paar in Malibu, diesmal im Obergeschoss eines von Richard Neutra entworfenen Strandhauses. Ihr Haus in der Montpelier Street jedoch geben die Adams niemals auf, es wird wieder ihr sicherer Hafen, als sie 1994 endgültig nach Europa zurückziehen.

  • Ken Adam auf Location-Suche in Japan

    YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert)
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F33917_005
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ken Adam auf Location-Suche in Japan
  • Blofeld's Volcano Lair

    [Volcano], YOU ONLY LIVE TWICE (GB, US 1967, Regie: Lewis Gilbert)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F33917_008
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Blofeld's Volcano Lair
  • Ausschnitte aus einem 8mm-Film, enstanden 1980 bei der Location-Suche für PENNIES FROM HEAVEN

    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ausschnitte aus einem 8mm-Film, enstanden 1980 bei der Location-Suche für PENNIES FROM HEAVEN
  • Letizia und Ken Adam bei der Location-Suche in Äqypten

    Inv.nr: SDK_4.2_201216_Album19_047_001
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Letizia und Ken Adam bei der Location-Suche in Äqypten
  • Letizia Adam

    Inv.nr: SDK_4.2_201216_Album21_062_004
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Letizia Adam
  • The 'El' Street & Station

    Set Still zu PENNIES FROM HEAVEN (US 1981, Regie: Herbert Ross)
    Fotograf: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.2_201216_F35601_003_6
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    The 'El' Street & Station
6 Abbildungen

Wiederbegegnungen in Berlin

1958 kehrt Ken Adam erstmals für eine Filmproduktion, Robert Aldrichs TEN SECONDS TO HELL, nach Berlin zurück. Der Film über ein von den Alliierten eingesetztes deutsches Bombenräumkommando spielt in der zerstörten Stadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit und Ken Adam lässt einige Szenen im Tiergartenviertel drehen, das damals kurz vor dem Abriss steht. Ein Foto zeigt ihn vor den Ruinen der Tiergartenstraße, wo sich in dem Haus Nr. 8 die Wohnung seiner Familie befand. Adam wird in den folgenden Jahren immer wieder in Berlin arbeiten und man kann die fünf zwischen 1958 und 2000 entstanden Berlin-bezogenen Spielfilme, für die er das Production Design verantwortet, auch in Beziehung zu seinen biografischen Erfahrungen mit der deutschen Geschichte sehen.

Spielt der dritte seiner fünf Berlin-Filme SALON KITTY (1976) während der NS-Diktatur, so behandeln die zuvor und anschließend mit Ken Adam in Berlin realisierten Spionagefilme FUNERAL IN BERLIN (1966) und COMPANY BUSINESS (1991) die im Kalten Krieg geteilte Stadt. FUNERAL IN BERLIN ist auch ein Film über die Folgen des Mauerbaus und COMPANY BUSINESS über die Öffnung der Berliner Mauer. Adams erster Berlin-Film TEN SECONDS TO HELL (1958) und sein letzter Film TAKING SIDES – DER FALL FURTWÄNGLER (2001) schließlich spielen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und thematisieren die Auseinandersetzung mit dem NS Unrechtsstaat in den Jahren 1945/46. Die Rollen des deutschen Architekten Eric Koertner (Jack Palance) in TEN SECONDS TO HELL und des jungen amerikanischen Offiziers David Willis (Moritz Bleibtreu) in TAKING SIDES – DER FALL FURTWÄNGLER lassen sich in Beziehung setzen zu dem 1945 24jährigen Offizier der Royal Air Force Klaus Hugo Adam, der wie David Willis jüdischer Exilant ist, sich unter anderem auch um die „Umerziehung“ deutscher Soldaten kümmern soll und seine Geburtsstadt 1945 erstmals besucht.

  • Ken Adam vor den Ruinen der Tiergartenstraße, Berlin, 1958

    Inv.nr: SDK_4.2_201216_Album17_079
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Ken Adam vor den Ruinen der Tiergartenstraße, Berlin, 1958
  • Secondo Bordello, Salon

    [Vetrata Secondo Salone and Secondo Salone], SALON KITTY (IT, DE, FR 1976, Tinto Brass)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F5131_005
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Secondo Bordello, Salon
  • Emmi Straube's Apartment, Dining Room

    TAKING SIDES - DER FALL FURTWÄNGLER (DE, FR, GB 2001, István Szabó)
    Zeichner: Ken Adam
    Inv.nr: SDK_4.6_201216_F47881_087
    © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv

    Emmi Straube's Apartment, Dining Room
3 Abbildungen

In gewisser Hinsicht schließt sich für Ken Adam 2000 mit seiner Arbeit an TAKING SIDES ein Lebenskreis. Er inszeniert mit seinem filmischen Production Design ein letztes Mal die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und lässt mit der großbürgerlichen Familienwohnung der Sekretärin Emmi Straube (Birgit Minichmayr) die eigene elterliche Wohnung in der Tiergartenstraße 8 als Filmset wieder auferstehen. In den folgenden Jahren wird Ken Adam häufig nach Berlin zurückkehren. Er gestaltet für die Millenniumsausstellung „Sieben Hügel. Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts“ den Lichthof des Martin Gropius Baus und wird 2003 einer der Initiatoren des Berlinale Talent-Campus. 2012 schließlich übergibt Sir Ken Adam seine Sammlung der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Im Dezember 2014 sind Ken und Letizia Adam Ehrengäste zur Eröffnung der Ausstellung „Bigger than Life. Ken Adam’s Film Design“. Die Arbeit am Ken Adam Archiv der Deutschen Kinemathek hat er bis zu seinem Tod am 10. März 2016 mit großem Interesse und wertvollen Hinweisen begleitet.

  • 1 James Bond, Berlin, Hollywood. Die Welten des Ken Adam. Berlin 2002, S. 48.
  • 2 Adam zit. in Christopher Frayling: Ken Adam. The Art of Production Design. London 2005, S. 53.
  • 3 Adam zit. in Alexander Smoltczyk: James Bond, Berlin, Hollywood. Die Welten des Ken Adam, Berlin 2002, S. 135.

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