DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Gespräch

Ein Blick ins Archiv – Zur Entstehung der Online-Präsentation Ken-Adam-Archiv.de

2012 schenkte Sir Ken Adam seine umfangreiche Sammlung der Deutschen Kinemathek, darunter 5.600 Grafiken und über 3.500 Fotografien. Mit dem grafischen Werk Sir Ken Adams macht die Deutsche Kinemathek nun zum ersten Mal einen ihrer Sammlungsbestände komplett online zugänglich. Innerhalb der letzten zwei Jahre wurden dazu alle Grafiken inventarisiert, katalogisiert und digitalisiert, eine neue Datenbank implementiert und die Webseite entwickelt.

Was hierzu notwendig war und welche Herausforderungen auf dem Weg auftauchten, bleibt normalerweise in den klimatisierten Archivräumen verborgen – außer die Verantwortlichen gewähren einen Blick hinter die Kulissen: Silke Ronneburg leitet das Ken Adam Archiv. Sie stand viele Jahre in regelmäßigem Kontakt mit Sir Ken Adam und kümmert sich um Anfragen zur Sammlung. Jessica Sandrock war für die Inventarisierung, Erschließung und konservatorische Bearbeitung der Grafiken zuständig und Christiane Grün für die Konzeption und Umsetzung der Webseite zum Archiv.

Wo bewahrte Ken Adam seine Materialien auf? Und wie kam die Sammlung nach Berlin?

Silke Ronneburg: Beim ersten Besuch in seinem Haus im Londoner Stadtteil Knightsbridge empfing uns Sir Ken gleich in seinem „Studio“, einem mittelgroßen Raum im Eingangsbereich des Hauses – und sichtlich sein produktives Zentrum. Da standen Keramiktöpfe mit Zeichenutensilien, Bücher und Papiere stapelten sich in kreativer Unordnung, dazwischen als stumme Zeugen seiner Meisterschaft die Ehrungen und Preise, die er für sein Werk erhalten hat. 

An zwei Seiten des Raumes sind weiße Zeichnungsschränke aufgestellt, unter deren Arbeitsflächen in großen Schubladen Ken Adams ganzer Design-Kosmos aufbewahrt war. Bei der ersten fotografischen Dokumentation entstanden mehr als 2.200 Aufnahmen von den Entwürfen. Dennoch war es schwierig, den Umfang anzugeben. Ken Adam entschied nämlich spontan, einzelne Entwürfe nicht zu zeigen. „Da habe ich noch etwas Besseres“, meinte er. Ganz offenbar hatte er sich eine Dramaturgie für diese Präsentation überlegt, denn zwischendurch schaute er immer wieder auf seine handschriftliche Liste.

Im Oktober 2012 fuhr schließlich ein großer Truck eines Kunsttransport-Unternehmens vor. Einen Tag lang dauerte das Ausräumen. In Berlin wurde nach dem Vorsortieren bald klar, dass der Umfang der grafischen Sammlung weit größer war, als vermutet. Noch heute scheint mir unvorstellbar, dass diese große Sammlung einmal in diesen Schränken in seinem Studio war.

  • Ken Adam in seinem "Studio" in seinem Londoner Zuhause

    © Silke Ronneburg

    Ken Adam in seinem "Studio" in seinem Londoner Zuhause
  • Keramiktopf mit Ken Adams Zeichenutensilien

    © Silke Ronneburg

    Keramiktopf mit Ken Adams Zeichenutensilien
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Hatte Ken Adam bereits ein Ordnungssystem? Und wie wird die Sammlung heute gelagert?

Jessica Sandrock: Ken Adam bewahrte seine Skizzen in Mappen auf, in gefalteten, klein- und großformatigen Papierbögen, in mit Paketband verklebten oder gefalteten Kartons, in Grau- und Holzpappen, in Pergamintüten und Kunststofffolien. Meist sind diese Mappen mit Angaben zu den entsprechenden Film- oder Projekttiteln sowie mit zusätzlichen Verweisen wie „Preliminary Selection, Roughs“ oder „Expressive Sketches“ versehen. 

Ich habe Ken Adams Ordnungssystem dokumentiert und gleichzeitig kontinuierlich aufgelöst. Zwar sind die Grafiken wie bei ihm nach Film- und Projekttiteln geordnet, ich habe die Objekte aber aus konservatorischen Gründen nach Material und Größe getrennt und sie in rund 300 neue, archivsichere Mappen mit Zwischenlagepapieren umgepackt.

Viele der Farbmittel, die Ken Adam verwendet hat, sind nicht lichtecht, d. h. die Farben der Zeichnungen verblassen bzw. verändern ihr ursprüngliches Erscheinungsbild, andere bluten aus oder übertragen sich auf die darüber oder darunter gelagerten Objekte. Auch die Verwendung von Klebestreifen und Klebstoffen führt zu sichtbaren Schäden am Objekt. Um diese zu begrenzen und neue Schäden zu vermeiden, werden die Objekte heute unter kontrollierten konservatorischen Bedingungen bei etwa 18 °C und einer Luftfeuchtigkeit von etwa 48% in zwölf Planschränken im Grafikarchiv der Deutschen Kinemathek aufbewahrt.

Silke Ronneburg: Unser Anliegen ist, die Grafiken als Kunstwerke zu bewahren, sie so zu lagern, aber auch zu präsentieren, dass sie lange und in gutem Zustand erhalten bleiben. Für Ken Adam standen seine Entwürfe natürlich in einem anderen Kontext, er sah sie vor allem in einem unmittelbaren Arbeitszusammenhang. Zahlreiche Spuren an den Entwürfen verdeutlichen das. Die Strich- und Farbproben an den Blatträndern sind ja fast schon ein Markenzeichen von ihm. Kurze Notizen, Telefonnummern oder Fingerabdrücke zeugen vom Entstehungsprozess der Zeichnung. Eselsohren, Knicke und vereinzelte Risse lassen erahnen, durch wie viele Hände die Skizzen wanderten. Und schließlich die mitunter mehrfachen Perforierungen in den Ecken, die belegen, dass die Blätter an die Wand gepinnt wurden. Einige Entwürfe hat Sir Ken dann doch für Ausstellungen in Passepartouts bringen lassen, bei anderen hat er sich gegen eine gerahmte Präsentation entschieden, damit der Arbeitscharakter erhalten bleibt.

  • Archivarin Jessica Sandrock bei der Ersterfassung der Objekte

    © Jürgen Keiper, 2014

    Archivarin Jessica Sandrock bei der Ersterfassung der Objekte
  • Ken Adams Pantone Layout Marker

    © Jürgen Keiper, 2014

    Ken Adams Pantone Layout Marker
  • Mappen zum Film WOMAN OF STRAW, von Ken Adam angelegt und beschriftet

    © Jürgen Keiper, 2014

    Mappen zum Film WOMAN OF STRAW, von Ken Adam angelegt und beschriftet
  • Der Arbeitstisch im Grafikarchiv mit Skizzen, Reproduktionen und Fotografien von Ken Adam

    © Jürgen Keiper, 2014

    Der Arbeitstisch im Grafikarchiv mit Skizzen, Reproduktionen und Fotografien von Ken Adam
  • Objekte, die nicht plan liegen oder starke Falten aufweisen, werden zunächst beschwert.

    © Jürgen Keiper, 2014

    Objekte, die nicht plan liegen oder starke Falten aufweisen, werden zunächst beschwert.
  • In säurefreie Archivmappen verpackt, werden die Grafiken in Planschränken aufbewahrt.

    © Jürgen Keiper, 2014

    In säurefreie Archivmappen verpackt, werden die Grafiken in Planschränken aufbewahrt.
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Ließen sich die Grafiken problemlos digitalisieren?

Christiane Grün: Die Farben haben uns teilweise auch bei der Digitalisierung vor enorme Probleme gestellt. Manchmal zeichnete Ken Adam mit Textmarkern in Neonfarben, die ihre Leuchtkraft erst durch kurzwellige UV-Strahlen entfalten. Der Scanner kann diese aber kaum reproduzieren, da die im Scanner verbauten LEDs keine UV-Strahlung emittieren. Auch bei Objekten, die Ken Adam mit Aluminiumfolie oder mit kleinen, glitzernden Kunststoffspänen beklebt hat, traten Probleme auf.

Um die Zeichnungen keinen unnötigen Temperaturschwankungen auszusetzen oder sie über weite Wege transportieren zu müssen, wurden sie innerhalb des Grafikarchivs digitalisiert. Hierzu bauten unsere Haustechniker eigens einen kleinen, komplett abgedunkelten Raum für den verwendeten Großformat-Scanner. So konnten wir die Digitalisierung unter optimalen Bedingungen durchführen.

Es gibt viele Set-Entwürfe, die sich auf den ersten Blick stark ähneln. Der Prozess der Zuordnung muss wie ein riesiges Puzzle gewesen sein. Wie geht man da vor?

Jessica Sandrock: Rund 50 % der Grafiken konnte ich durch Ken Adams Angaben auf den Verpackungsmaterialien sowie die zum Teil vorhandenen Einzelblattbeschriftungen – sie bezogen sich konkret auf einen Film oder auf ein Projekt, den abgebildeten Raum oder das Set, ein Fahrzeug oder ein Requisit – auf Anhieb dem entsprechenden Film oder Projekt zuordnen. Aber da die Skizzen z. B. für Ausstellungsprojekte durchsucht, gezeigt, neu verpackt, entliehen und schließlich wieder in Ken Adams Aufbewahrung zurückgelegt wurden, war die Ordnung in den meisten Mappen durcheinander geraten.

Eine erste Orientierung für die Zuordnung bot der Abgleich mit den Filmen, mit Publikationen und Ausstellungen sowie mit den Fotos und dem Schriftgut im Bestand bzw. in den Sammlungen des BFI National Archive und von EON Productions. Auch Ken Adam selbst gab mit großer Bereitschaft und Freude Auskunft. Dennoch war die Zuordnung oft ein Prozess, der Zeit und detektivischen Spürsinn erforderte. Schließlich halfen die genaue Betrachtung und der Vergleich der Beschaffenheit des verwendeten Arbeitsmaterials sowie der vorhandenen Schadensbilder. Bei etwa 50 Blatt sind wir uns noch immer unsicher. Sie sind als „in dubio“ ausgezeichnet, so kann man sie auch auf der Webseite finden. Wir hoffen natürlich, dass sie sich noch identifizieren lassen – vielleicht hilft die Online-Publikation ja dabei.

Auf der Webseite sind die Skizzen nicht nur den Filmen und Projekten, sondern auch den einzelnen Sets, Gadgets und Designs zugeordnet. Warum?

Christiane Grün: Uns war es sehr wichtig, so viel Kontext wie möglich zu jeder einzelnen Skizze zu bieten, deshalb präsentieren wir sie geordnet nach Sets. Dadurch lassen sich die Entwicklungsstadien von Ken Adams Räumen und Designs erkennen oder alternative Entwürfe entdecken, die es ja häufig gab. Zu seinem berühmtesten Set, dem War Room aus Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE (GB, US 1964), existieren beispielsweise 18 Skizzen, anhand derer die Entstehung des Raumes exakt nachzuvollziehen ist (vgl. den Aufsatz von Boris Hars-Tschachotin). 

Unser Prinzip war: Reduktion statt Atomisierung. Um alle Grafiken zu entdecken, muss sich der Nutzer „nur“ durch etwa 1.000 Einzelseiten zu den unterschiedlichen Sets klicken, nicht durch 5.600 Einzelseiten zu den Grafiken – formale Informationen zu den Grafiken wie Maße, Techniken und Materialien findet er aber selbstverständlich trotzdem.

Die Webseite bietet ja viel mehr als eine Bestandsübersicht und die Möglichkeit zur Recherche in der Sammlung. Was war das Ziel?

Christiane Grün: Wir haben in den letzten Jahren einige Sammlungen der Deutschen Kinemathek teilweise online zugänglich gemacht und wollten mit diesem Projekt einen Ansatz weiterverfolgen, den wir mit „First We Take Berlin“ und „Wir waren so frei“ begonnen haben: Das Archiv zum Erzählen bringen, die wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung mit den Materialien stimulieren sowie Besonderheiten und Kontexte innerhalb und außerhalb der Sammlung sichtbar machen!

So sind Essays, Bildgalerien und Gespräche zum Ken Adam Archiv entstanden, die einen vertiefenden Zugang zur Sammlung bieten – und auch zu versteckten Schätzen in ihr wie etwa den Fotografien, die Ken Adam vor allem bei der Location-Suche aufgenommen hat (vgl. den Aufsatz von Jörg Becker). Zudem haben wir ein paar interaktive Tools integriert, mit denen sich der Nutzer selbst Zusammenhänge erschließen kann. Ich freue mich immer noch, wenn ich die kleine rote Hand nach links oder rechts schiebe und so Parallelen zwischen Entwurf und späterer Realisierung aufdecke. Ich hoffe, das geht auch anderen so!

Links: [Fort Knox, Gold Vaults], GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton) | Zeichner: Ken Adam | Inv.nr.: SDK_4.6_201216_F20003_066 | © Deutsche Kinemathek - Ken Adam Archiv
Rechts: Fort Knox, Gold Vaults, Film Still aus GOLDFINGER (GB, US 1964, Regie: Guy Hamilton) | Ⓒ 1964 United Artists Corporation & Danjaq, LLC.