von Rainer Rother
Im Jahr 2012 erhielt die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen die Sammlung Sir Ken Adams und damit das Jahrzehnte überspannende künstlerische Werk des fraglos berühmtesten Production Designers seiner Generation. Es handelt sich um das vollständige Archiv eines Künstlers, der wie wenige andere einen enormen Einfluss auf die Entwicklung seines Metiers nahm, der zur wichtigsten Inspirationsquelle für jüngere Vertreter des Production Departments, ja für Filmschaffende allgemein wurde. Und der, wie zahlreiche Zeugnisse belegen, auch weit über die Filmkunst hinaus ausstrahlte, indem er Designer, bildende Künstler und Architekten beeinflusste.
Die Deutsche Kinemathek hat das großzügige und ebenso facetten- wie umfangreiche Geschenk Sir Ken Adams mit Stolz und im Bewusstsein der Verantwortung für das Werk des Production Designers übernommen. Adams Schenkung ist zugleich eine starke Geste der Versöhnung eines Mannes, der wegen seiner jüdischen Abstammung aus Berlin und Deutschland vertrieben wurde und mit über 90 Jahren sein Lebenswerk in seine Geburtsstadt gibt. Die Biografie Ken Adams sowie wesentliche Aspekte seiner Kunst werden auf dieser Website in verschiedenen Essays beleuchtet und sein Werk in den filmhistorischen Kontext gestellt. Die Onlinepräsentation zeigt zudem alle nun von der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen bewahrten Zeichnungen, nachdem diese erfasst, archivarisch betreut und digitalisiert wurden.
Mit der Onlinepräsentation, die als umfassende Darstellung des Œuvres eines Production Designers einzigartig sein dürfte, entsprechen wir gerne einem Wunsch Ken Adams. Die Übergabe seiner Sammlung an die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen geschah nicht zuletzt, damit sein Werk der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich gemacht wird. Seit 2012 ist Ken Adams Werk bereits innerhalb der Ständigen Ausstellung zu sehen, eine große Sonderschau – „Bigger than Life. Ken Adam's Film Design“ – folgte 2014/15 und begeisterte die zahlreichen Besucher.
Vom Scribble zur Feinzeichnung
Die Onlinepräsentation soll vor allem die bestmögliche Basis bieten, dass Ken Adams Werk auch nachfolgenden Generationen als Inspiration dienen kann.
In der hier ermöglichten intensiven Beschäftigung mit seinen Zeichnungen – von ersten Ideenskizzen, den berühmten „Scribbles“, bis zum ausgefeilten Entwurf – machen sie die Vorgehensweise und die Handschrift des Künstlers transparent. In einer immer wieder frappierenden Fülle und in wunderbarer Klarheit entfalten die Zeichnungen den Schaffensprozess in allen Schritten und machen ihn damit nachvollziehbar.
Jede Entwurfsphase einer filmischen Welt ist in den gezeichneten Blättern in Beispielen vertreten, von der ersten, sich frei annähernden Skizze, die Volumina und Raumkörper schon erahnen lässt, bis zu veritablen Vor-Bildern der später von der Kamera festgehaltenen Einstellungen. Um diesen Entstehungsprozess der einzelnen Räume und Sets nachvollziehbar zu machen und um Unterschiede zwischen tatsächlich realisierten Designs sowie im Laufe des Schaffensprozesses verworfenen Alternativen aufzuzeigen, werden die Skizzen innerhalb der Filme nach Sets unterschieden. Zu den 99 Filmen und Projekten, an denen Ken Adam gearbeitet hat, ließen sich über 800 verschiedene Außen- und Innenräume sowie Objekte und Fahrzeuge identifizieren.
Nicht realisierte Filme und Projekte
Im Bestand finden sich auch Zeichnungen zu den meisten der nicht realisierten Filme, an denen Ken Adam gearbeitet hat. Sie dokumentieren u. a. die mit Herbert Ross geplante Verfilmung von PETER PAN (1969), die nicht vollendete „Star Trek“-Adaptation für das Kino STAR TREK – PLANET OF THE TITANS (US 1979), eine Zusammenarbeit mit Philip Kaufman, sowie eine Anfang der 1980er-Jahre geplante Filmadaption des Off-Broadway-Musicals THE FANTASTICKS (1982).
Daneben sind zahlreiche weitere Arbeiten erhalten, die außerhalb von Filmproduktionen entstanden: Für die beiden Opern „La fanciulla del West“ und „Wozzeck“, für das „Special Project for 20th Century Fox“ – ein aufblasbares, an ein Ufo erinnerndes Kino der Zukunft, welches letztendlich nicht realisiert wurde, sowie für die große Millenniumsausstellung „Sieben Hügel. Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts“. Diese Schau wurde im Jahr 2000 im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt, wobei vor allem die von Ken Adam entworfene Architektur im Lichthof für Furore sorgte. Auch zu Ken Adams letztem Projekt, dem 2004 entstandenen Xbox-Spiel „GoldenEye: Rogue Agent“, finden sich zahlreiche Raum- und Kostümentwürfe.
Adams Werkstatt des Films: mit mehr als 5.600 grafischen Entwürfen
Im Kontext der reichen Sammlungen der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen gehört das Ken Adam Archiv zu den bedeutendsten Beständen – und dies nicht nur aufgrund seines erstaunlichen Umfangs. Es umfasst etwa 5.600 Zeichnungen, mit Beispielen zu so gut wie allen der mehr als 70 Filme, für die Ken Adam gearbeitet hat, zunächst als Zeichner und Assistant Art Director, aber schon bald mit dem Credit als Production Designer. Nur für wenige Produktionen aus dem Beginn seiner Karriere fehlen Belege. Dagegen sind verschiedene Filme außergewöhnlich umfangreich dokumentiert, für einige gibt es mehr als 200 Blätter, PENNIES FROM HEAVEN (US 1981, Regie: Herbert Ross) oder MOONRAKER (GB, FR 1979, Regie: Lewis Gilbert) wären hier zu nennen. Die vielfältigen Zeichnungen stellen gewissermaßen den Kern des Bestandes dar, der jedoch schon von Beginn an um weitere Materialien ergänzt wurde, die uns von Ken Adam, aber auch von Mitgliedern der Familie, übergeben wurden. Private Fotoalben, Werkfotografien und Home Movies, von Ken Adam selbst vor allem bei der Location-Suche aufgenommen, komplettieren die einzigartige Sammlung.
Filmische Welten aus den Augen des Production Designers
Was mit dieser Fülle von Zeichnungen verbunden ist, kann als Blick in die Werkstatt des Films und zugleich als Demonstration der Bedeutung des Production Designs für die filmische Wirkung bezeichnet werden. Die Welt des Films ist von eigener Art, sie existiert aus eigenem Recht. Es ist ein Reich, in das wir als Zuschauer geleitet, in geglückten Fällen nachgerade entführt werden – durch unvorhersehbare Schöpfungen von visueller Stimmigkeit und emotionaler Kraft. Die vielgestaltigen Räume des Films schaffen für jede Story ihre besondere Umgebung. Sie kann aus unserer Realität sein, wie aus dem Hier und Jetzt geschöpft erscheinen, sie kann sich als historisches, als fantastisches Paralleluniversum darstellen und Zukunftsträume verkörpern. Zu all diesen filmischen Welten hat Ken Adam eindrucksvolle Arbeiten vorgelegt.
Der Production Designer ist der Meister jener Gestaltungen mit ihren ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten. Er konzipiert all ihre visuellen Eigenschaften. Das war das Prinzip, nach dem Ken Adam seine Kunst ausrichtete, er begriff seine Profession immer in Bezug auf den und im Dienst des zu realisierenden Films. Landschaften, Bauwerke, Interieurs finden ihren Ort, den Platz, den die Geschichte für sie vorsieht und der doch nicht existierte, wäre da nicht zuerst die Idee.
Bei Ken Adam kommen in zahlreichen Beispielen die Bildideen für Fortbewegungsmittel in einem weit gefassten Sinn hinzu – neben ersten Entwürfen für Segelschiffe waren dies Autos, Ein-Mann-Helikopter, Schleudersitze, Mittel zur Bewegung unter Wasser, amphibische Fahrzeuge, Raketen und Raumgleiter: All das stammt aus dem Ideenschatz des von moderner Technik und nicht zuletzt von Geschwindigkeit begeisterten Production Designers.
Imaginierte Filmbilder
All diese den visuellen Stil des Films prägenden Landschaften, Gebäude, Interieurs, auch die „gadgets“ der James-Bond-Filme sind in seinen Skizzen erdacht, entworfen für das später sich daraus entwickelnde Filmset. Diese Zeichnungen sind immer der Blick auf eine Location: eine Straße wie von nebenan, eine königliche Halle aus mythischer Zeit, das Trümmerfeld einer zerstörten Stadt, Machtzentren für nach Weltherrschaft strebende Verbrecher und Folterkammern aus dem heißen und Kalten Krieg oder dessen Schaltzentralen für den apokalyptischen Notfall. In diesen Sets finden die Darsteller ihr Spielfeld, die Filmräume bilden die Grundlage für jede Geschichte. Frappierend ist, wie funktional diese Blicke, die in den Skizzen geronnen sind, sich dabei aufbauen: Sie imaginieren einen dreidimensionalen Set, verleihen ihm in der definierten Perspektive Tiefe, lassen ihn in Schattierung und Staffelung der Beleuchtung lebendig werden. Zugleich geben sie ihn bereits in der Form einer Einstellung wieder, als vorweg imaginiertes Resultat der Arbeit des Kameramanns und der gesamten Crew, wie es auf der zweidimensionalen Leinwand erscheint.
Wenige Production Designer haben ähnlich vielgestaltige filmische Milieus entwickelt wie Ken Adam. Für über 70 Filme hat er jene filmischen Universen geschaffen, deren fesselnder Charakter sich ins Gedächtnis des Zuschauers einbrennt. Ken Adam hat seine Schöpfungen nie als bloßes Abbild der Realität aufgefasst, sondern diese für seine Welten transformiert, zugespitzt und überhöht. Er hat so für den jeweiligen Film die visuelle Prägnanz geschaffen und ihm damit erst zu der Qualität verholfen, durch die er schließlich seine Wirkung entfalten konnte. Der Zuschauer soll durch das Production Design aus seinem Alltag entführt werden – dies zeigen schon die Zeichnungen Ken Adams.
Ken Adam im Kontext der Sammlungen der Deutschen Kinemathek
Innerhalb der Sammlungen der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen findet sich das Œuvre Ken Adams nun in vielfältigen Beziehungen wieder. Oft hat er betont, dass ihn der Film – und nicht zuletzt die Filmarchitektur – der Weimarer Republik entscheidend beeinflusst hat, dass er aus der damaligen modernen Architektur Berlins, z. B. den Bauten Erich Mendelssohns, Impulse bezog. Als herausragendes Beispiel bedeutender Filmarchitektur kommuniziert das Ken Adam Archiv mit den in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen bewahrten Entwürfen z. B. von Erich Kettelhut (der u. a. die Bauten für METROPOLIS (DE 1927, Regie: Fritz Lang) entwarf), Alfred Junge, Herrmann Warm (DAS CABINET DES DR. CALIGARI (DE 1920, Regie: Robert Wiene)) oder auch zeitgenössischer Production Designer wie Uli Hanisch, Silke Buhr und Kade Gruber. Mit ihrem umfangreichen Material zur Biografie sowohl Ken Adams selbst wie auch seiner Familie steht die Sammlung zudem in enger Verbindung zu den vielen anderen Beständen, die die Deutsche Kinemathek zum Filmexil, zu Werk und Leben der von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertriebenen Filmkünstler bewahrt, erschließt und veröffentlicht.
Für die Großzügigkeit und das Vertrauen, das sie uns entgegenbringen, danken wir Sir Ken Adam und Lady Letizia Adam sehr herzlich.
Die Erfassung, archivarische Betreuung, Digitalisierung und der Aufbau dieser Onlinepräsentation wurde ermöglicht durch ein von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin gefördertes Projekt. Der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin gilt hierfür unser herzlicher Dank.