DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Gespräch

Ken Adams Praktiken des Entwerfens

von Boris Hars-Tschachotin

Im Sommer 2000 begegnete ich Ken Adam zum ersten Mal. Als Location Scout für István Szabós Spielfilm TAKING SIDES – DER FALL FURTWÄNGLER (DE, FR, GB 2001) war ich auf der Suche nach passenden Drehorten und dabei direkt Ken Adam unterstellt. Dem berühmten Production Designer über die Schulter zu schauen, während er zeichnend seine Sets entwarf, beeindruckte mich tief und inspirierte mich später zu einer eigenwilligen Idee. 
Im Sommer 2014 setzte ich mich mit dem Zeichner und Storyboard Artist Max-Julian Otto zusammen, um das Projekt anzugehen:  Für meine Installation „Lines in Flow“, Teil der Ausstellung „Bigger  Than Life. Ken Adam´s Film Design“1, sollte Otto einige Entwürfe Ken Adams nachzeichnen.  Genauer ging es um fünf Blätter zu Adams ikonischem War Room, den er für Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (GB, US 1964) entworfen hatte. 
Die Installation spielt mit der Idee, Ken Adam würde an seinen Zeichentisch in den Shepperton Studios bei London zurückkehren.  Den Ausstellungsbesuchern sollte ein direkter Einblick in Adams kreativen Prozess des Entwerfens ermöglicht werden. Dafür nahm nicht bloß der damals 93-jährige Ken Adam selbst nochmals seinen Stift, den Flo-Master, zur Hand. Um die Genese und Metamorphose des War Room quasi live erlebbar zu machen, wurden die Zeichnungen Ottos zudem animiert.

3 Abbildungen

Auf welche Herausforderungen Otto, der seit vielen Jahren vertraut mit Ken Adams Arbeit ist, bei diesem Projekt stieß,  wird in unserem Gespräch ebenso thematisiert wie einige typische Arbeitspraktiken Adams. Doch was ist es überhaupt, das seinen Stil so einzigartig (und so schwer zu kopieren!) macht?

Der Flo-Master

Das Werkzeug für Ken Adams unverwechselbaren Zeichenstil ist ein spezieller Filzstift mit breiter Spitze, der Standard-Flo-Master.  Diese Filzstifttechnik ist eine seltene Ausnahme unter den Production Designern des 20. Jahrhunderts und wurde zum wesentlichen Charakteristikum seines Stils.
„It was originally to liberate myself“, begründete Ken Adam seine Wahl für diesen Stift. Seine Entdeckung des Flo-Master Ende der 1950er Jahre (die nachfüllbaren Stifte gab es seit 1951) half bei der Befreiung vom mechanischen Entwerfen, das er aus dem Architekturstudium mitgebracht hatte.  „They were the perfect tool for me; I love to draw very quickly, to let the ideas flow as fast as my imagination and hand will allow.“2
Mithilfe des Flo-Master konnte er seine visuellen Ideen rasch aufs Papier bringen und einen expressiven Ausdruck sowie Hell-Dunkel-Effekte erzielen. Die Intensität seiner Zeichnungen lässt nachvollziehen, wie Adams Hand seinem inneren Auge folgte. Zudem verhinderte der relativ grobe Filzstift, dass er sich in unnötigen Details verlor, was in seinen reduzierten, meist großflächig angelegten Entwürfen gut zum Ausdruck kommt.

Von der ersten Skizze zur Präsentationszeichnung

Ken Adams Filmzeichnungen bewegen sich zwischen rohen Skizzen, atmosphärisch detailliert ausgearbeiteten Entwürfen und aufwendigen Präsentationszeichnungen, die den zukünftigen Film und dessen Gehalt zeichnerisch vorwegnehmen. „I cannot design as a rule unless I start with a scribble, a thumbnail sketch“, kommentierte Ken Adam seine Herangehensweise. Diese „scribbles“ (auf Deutsch: Kritzeleien) waren für Adam die grundlegende Inspiration, ein Feld der Entwicklung, auf dessen Basis sich weitere Ideen bildeten. Für den außenstehenden Betrachter mögen solche Skizzen nicht immer lesbar sein, dennoch haben sie durch ihre starke Vereinfachung und Verdichtung eine große Suggestionskraft und gewähren einen tiefen Einblick in den Gestaltungsvorgang.
Auch die Entwürfe sind oft noch suchende zeichnerische Lösungen. Sie kreisen um die zu realisierende Idee eines Filmraumes, die Adam oft in diversen Varianten und mit dynamischem Strich immer weiter konkretisierte: in der rechten Hand den Flo-Master, in der linken die obligatorische Zigarre. Die Präsentationszeichnung wendet sich schließlich mit ihren genaueren Informationen an viele Empfänger: Regisseur, Produzent, Kameramann, Ausstatter, Baubühne etc. Diese Zeichnung  am Ende des Entwurfsprozesses muss als Kommunikationsmittel für alle klar lesbar sein und ist für das Art Department die Grundlage für die Erstellung von Bauplänen und für mögliche Modelle des Sets.  

Starke Formen und expressive Hell-Dunkel-Effekte

Ein Beispiel für eine solche Genese eines Filmsets bieten die gezeichneten Blätter zum War Room. Das bereits in der ersten Zeichnung von Ken Adam angelegte Motiv des Lichtkegels mit Tisch und Lampe wurde zur Urzelle des späteren Designs der Kommandozentrale tief unter dem Pentagon.  Aus diesem Grundmotiv ergaben sich alle weiteren Gestaltungsentwicklungen und Architekturentscheidungen. 
Für die Installation „Lines in Flow“ wurde auch ein Invertierungsverfahren Adams aufgegriffen, das er immer wieder anwendete. Eine fertige Zeichnung kopierte er in ein Negativbild um – helle Linien auf dunklem Grund. „Mich inspirierten diese ‚Negativ‘-Zeichnungen, sie wirkten manchmal fast eindrucksvoller und expressiver, hatten einen starken Effekt auf den Betrachter. Merkwürdige Lichtstimmungen waren häufig die Folge, ebenso wie sich meist die Atmosphäre des Raumes dramatisch steigerte.“3
Nach Stanley Kubricks Veto zu einem relativ fortgeschrittenen Entwurf des War Room mit zwei Ebenen konzentrierte sich Adam ganz auf die bereits vorhandene Grundform des Dreiecks. Das Wechselspiel zwischen Dreieck (die Raumform), Kreis (der runde Tisch) und Quadrat (die Monitore) wurde nun zum prägenden Raumkonzept eines Sets weiterentwickelt, das Maßstäbe im Production Design gesetzt hat.
Adams zeichnerische Vision zum War Room sollte in der Installation schließlich mit der gebauten Realität des legendären Filmsets verschmelzen. Denn Ken Adams Zeichnungen waren nie Selbstzweck, sondern wurden auf das zu bauende Set, auf das daraus resultierende Filmbild und dessen atmosphärische Wirkung hin konzipiert.

Ein Gespräch zwischen Boris Hars-Tschachotin und Max-Julian Otto

Ken Adams Praktiken des Entwerfens.
  • 1 Die Ausstellung wurde von Dezember 2014 bis Mai 2015 im Museum für Film und Fernsehen, Berlin, gezeigt. Kuratoren: Boris Hars-Tschachotin, Kristina Jaspers, Peter Mänz, Rainer Rother.
  • 2 Jonathan Glancey: „The Grand Illusionist. A Portrait of Ken Adam“. In: The Guardian Weekend, 30. Oktober 1999, S. 24.
  • 3 Ken Adam im Interview mit dem Verfasser, 31. Mai 2002.

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